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Von 'Performance' zu 'Smart Luxury'

Rolf und Hendrik Hartge erfinden Tuning neu

Zusammenarbeit als CEOs mit individuellen Stärken

Thomé: Rolf Hartke, Hendrik Hartke, ganz herzlich willkommen in unserem Podcast.

Rolf Hartge: Vielen Dank, dass wir hier sein dürfen. Ja, vielen Dank für die Einladung.

Thomé: Ja, sie sind ja schon eine ganz besondere Familie. Immer vom Automobil geprägt sozusagen. Der Antrieb, das Benzin im Blut.
Rolf, sie als Rennfahrer und einer, der früh auch schon eigene Unternehmen aufgebaut hat, auch gemeinsam mit den Brüdern. Dann Sie, Hendrik, der aus einer ganz anderen Ecke kommt.
Und spannend ist natürlich, dass Sie heute zusammenarbeiten und zwar nicht in der Konstellation Nachfolge, der eine übergibt es an den anderen, sondern Sie sind beide CEOs.

Wie ist es für Sie, zusammenzuarbeiten, Hendrik?

Hendrik Hartge: Es mischt und “matcht” sehr gut.
[2:16] Ich glaube gerade, jeder bringt so seine Besonderheiten mit, gerade mein Vater, durch die Rennfahrer-Historie, die Geschichte, die wahnsinnige Erfahrung, die über so lange Zeit zusammenkommt, das Netzwerk und so weiter.
Und ja, vielleicht, ich kann in gewisser Weise meinen bescheidenen Anteil damit mit reinbringen, dass ich vor allem diesen kaufmännischen Bereich auch gerade mit aufgebaut habe, gerade dadurch, dass wir auch, als wir neu gegründet haben, auch diese, sagen wir mal, die Infrastruktur aufzubauen, die ja heute im Grunde genommen auch digitaler ist.
Das heutige Start-up-Denken, wie kann ich auch Lean-Management-mäßig bestimmte Sachen aufziehen mit wenig Ressourcen und mit wenig Personal, heute trotzdem eine moderne Firma aufzubauen, die gar nicht so groß sein muss, wie sie vielleicht vor 10, 20 Jahren hat sein müssen.

Entscheidungsfindung in der Firma


Thomé: [3:19] Jetzt leiten Sie diese Firma gemeinsam und zwischen Ihnen passt es gut. Steuern Sie die Firma eher in Ihrem Rollenverständnis aus dem Bauch heraus, weil Sie sich sowieso sehr gut ergänzen vom Typ her oder haben Sie da auch eine klare Rollenverteilung, was die Aufgaben anbelangt?

Rolf Hartge: Aber Hendrik hat gerade sein Licht unter den Scheffel gestellt.
[3:43] Seine Neuausrichtung meiner Idee, Tuning neu zu definieren, das kommt überwiegend von ihm und das neue Interieur und die neue Multifunktionalität im Auto und so weiter.
Das ist sein Posten und seine Kompetenz gewesen und insofern setzt er, was technisch betrifft, das, was ich früher eben im herkömmlichen Tuning gemacht habe, was wir natürlich ohnehin auch noch anbieten, aber das ist jetzt das neue Denken und das neue Produkt, was wir anbieten.

[4:18] Das, wo wir sagen, Tuning neu definiert. Das ist seine Stärke.
Und bei den Rollen sehen wir es so, dass wir uns austauschen und dass wir sehr gut merken, wer gerade die bessere Idee hat.
Und das gilt auch in unserer ganzen Firma.
Wenn niemand auf eine Frage eine Antwort hat, dann gebe ich eine und dann sage ich, die oder besser.
Und die bessere, egal von wem die kommt, die wird dann abgestimmt und die wird dann durchgeführt.

Thomé: Wie sind Sie von der automobilen Leidenschaft infiziert worden?

Rolf Hartge: [4:53] Ja, unser Vater war bereits ein Autofreund und in der Eisen- und Stahlindustrie tätig.
Damit haben wir oft über Bleche gesprochen, vor allem auch über Bleche, deren Coils in der Dillinger Hütte zum Beispiel hergestellt wurden, die dann beispielsweise auf dem Rasselstein in Neuwied, wo wir ursprünglich herkommen, gewalzt wurden.
Und es ging also im Wesentlichen um Automobilbleche.
Und damit war das Thema Auto schon irgendwie so ein bisschen vorbesetzt.

Thomé: [5:29] Jetzt waren Sie ja vier Brüder. Wie war das Verhältnis zwischen den Brüdern?
Die waren ja alle auch im Automobilbereich dann tätig. Gab es da Rivalität?
Haben Sie sich da ergänzt und voneinander gelernt?

Rolf Hartge: [5:42] Mein Bruder Herbert, der Ältere, hatte in England gearbeitet und hat dort Kontakte zu englischen Rennwagenherstellern gemacht und wir haben dann daraufhin die Vertretung übernommen von einem englischen Rennwagenhersteller, der “Royal Cars” hieß.
Und dieses Auto war damals sehr erfolgreich, war zum Beispiel Formel Ford Weltmeister und wir haben dann englische Rennautos für den Kontinent vertrieben, haben diese in Teilen in England gekauft, bei uns in Merzig in der Schankstraße zusammengebaut und dann verkauft und gewartet.

Später konnten wir dann BMW-Händler werden und das gab uns dann die Möglichkeit, auch selbst mit eigenentwickelten und eigengebauten Autos Motorsport zu betreiben, beginnend mit dem 1602, 2002, 320, 325 und schließlich mit dem BMW 635 CSI, mit dem wir in der Gruppe A an der Europatourenwagenmeisterschaft teilgenommen haben.
Das war eine wesentliche Motivation für uns. Der Motorsport war eine wesentliche Mutation, um uns mit dem Automobil zu befassen.
Damals waren wir BMW-Händler und dann war das ein perfekter Einstieg in den Motorsport.

Thomé: [7:11] Ihr Bruder Herbert ist ja der ältere Bruder, war Rennfahrer gewesen, Sie waren dann auch Rennfahrer.
Inwieweit haben Sie Ihrem Bruder nachgeeifert?

Rolf Hartge: Also zu der Zeit, als ich in Saarbrücken studiert habe, bin ich Kartrennen gefahren und mein Bruder ist Formel V gefahren.
[7:54] Und dem bin ich natürlich nachgeeifert. Insofern, wenn wir dann zusammen fuhren, waren wir immer Konkurrenten.

Zum Beispiel beim Ford-Rennen in Saarlouis.

In Saarlouis wurden vier Jahre lang Rennen gefahren auf der normalen Straße vor dem Ford-Gelände.

[8:12] Und wir sind ansonsten auch die Rennen zur deutschen Meisterschaft gefahren, die Tourenwagenmeisterschaft.
Wir sind in Trinidad-Rennen gefahren, in England, eigentlich überall.

Und wenn es gut geklappt hat, dann war ich eben auch mal vorne.

Das heißt also, es gab schon einen Wettbewerb und es wurde auch immer verglichen, auch sehr sachlich verglichen, wo die Unterschiede lagen und was die Ursachen waren.
Aber ich denke, dass wir ausgeglichen und gleich schnell waren.

Thomé: Frage an den Sohn Hendrik.
Hatten Sie überhaupt jemals eine Möglichkeit, etwas anderes zu tun außerhalb des Automobilbereichs?
Oder nimmt man das sofort dann von der Mutter, von der Vaterseite so auf, dass es von vornherein klar war, dass Sie mal was gemeinsam machen?

Hendrik Hartge: Ich wurde da vielleicht auch am Anfang zumindest erfolgreich von ferngehalten in gewisser Weise, aber natürlich viel mit aufgesogen.
Man kriegt ja so ein “Unternehmer-Gen” vielleicht auch mit. Durch Umwege haben wir später nochmal zusammengefunden, zumindest auf diesem Autothema.
Es war jetzt nicht eine direkte Frage, “okay, du musst es jetzt übernehmen oder du wirst es jetzt weiterführen”.
Das ist eben auch das Gute, wenn man irgendwie nicht automatisch in irgendwas reingedrängt wird, sondern einfach die Möglichkeit hat. Man findet dann zueinander und hat ein besonderes Thema, was einen dann auch wirklich interessiert.
[9:41] Ohne dass das jetzt von vornherein festgelegt ist.

Thomé:Hendrik, wie ist es eigentlich, mit so einem legendären Namen aufzuwachsen?
Wann haben Sie eigentlich gemerkt, dass Hartge jetzt nicht nur für den Papa steht, sondern auch für was, was größer wirkt, was auch weltweit bekannt ist?

Aufmerksamkeit in der Schule und Fanzuschriften aus den USA

Hendrik Hartge: [10:03] Eine kleine Geschichte dazu, damals, als ich in der Schule war, war es mir teilweise in der Tat nicht so richtig recht, wenn mein Vater mich mal mit einem Auto zur Schule gebracht hat.
Da musste teilweise dann eine Straße weiter parken, weil mir einfach die Aufmerksamkeit nicht so richtig gefallen hat, eben im Mittelpunkt zu stehen.
Später weiß man das irgendwann besser einzuschätzen und auch zu sehen.
Also ich finde es sehr spannend, wenn man jetzt. Teilweise kriegen wir immer noch Zuschriften über Fans aus den USA, die uns einfach begeistert anschreiben und sagen, “hey, ich habe einen Hartge ergattert irgendwo und habe gesehen, ihr steckt da, da ist der Name irgendwie noch mit da drin und habt ihr noch ein paar Logos oder irgendwas” und dann fragt man sich schon, Wahnsinn, dass wir da solche Zuschriften oder Anrufe bekommen, ob es noch irgendwas gibt von damals.
Das ist natürlich schon spannend, ist natürlich auch vielleicht nochmal ein Ansporn, auch daran anzuknüpfen oder anknüpfen zu können und diesen Anspruch auch aufrechtzuerhalten.

Thomé: [11:24] Jetzt gibt es ja sicherlich viele Eigenschaften, die einen guten Rennfahrer, auch einen erfolgreichen Rennfahrer ausmachen.
Was würden Sie sagen, sind so die Eigenschaften eines Rennfahrers, die Ihnen dann später als Unternehmer auch geholfen haben?

Rolf Hartge: Wenn man Leistungssport, egal ob es Motorsport ist oder Leichtathletik oder Skifahren, wenn man Leistungssport ernst nimmt, dann geht man mit einem ganz gewissen Gefühl daran.
Man hat eine Systematik, man ist selbstkritisch und versucht ständig besser zu werden und versucht seine Technik und die Technik seines Sportgerätes zu verbessern.
Wenn man diesem Wettbewerbgedanken unterliegt, gibt es natürlich dann das Bestreben, als Unternehmer auch Produkte, die man dann selber herstellt, auch nach diesen Kriterien zu entwickeln und herzustellen.

Die Anfänge und die Faszination für Carlsson

Thomé: [12:26] Jetzt komme ich gleich nochmal auf den Aufbau dieser neuen Firma auch zu sprechen, aber ich komme natürlich nicht umhin, über Carlsson auch zu sprechen.
Da war ich früh auch Fan in der Motorsport-Tuning-Szene, weltbekannt.
Für mich damals schon Emotionen, Faszination pur, wenngleich damals natürlich unerreichbar.
Aber da kam man schon ins Träumen. Woher haben Sie, Herr Hartge, die Power genommen, die Energie, auch das Selbstvertrauen, so eine Weltmarke aufzubauen?

Rolf Hartge: Ich glaube, wenn man startet, denkt man nicht sofort an eine Weltmarke. Dann sieht man vor Bäumen den Wald nicht und will es einfach nur gut machen. Und wenn man es eben gut macht, dann bekommt es auch irgendwann eine Geltung. In dem Zusammenhang hatten wir mit Ingvar Carlsson einen 4A-Fahrer, das entspricht einem Formel-1-Fahrer, also in dem Rang war er unter den Rallyefahrern.
Er war Teammitglied von Walter Röhrl im Mercedes-Team und insofern gab es eine Nähe zu Mercedes und zudem war er ein sehr guter Abstimmer.
Natürlich hatte er von Fahrverhalten und Fahrwerken viel Ahnung und hat sich da auch mit eingebracht.

[13:47] Der Name Carlsson war eben in der Mercedes-Welt bekannt, im Sport generell, im Motorsport war er sehr bekannt.
Und man konnte vor allem seinen Namen gut aussprechen. Im Gegensatz zu unserem Namen.
Carlsson spricht sich auch in Chinesisch und Japanisch gut aus, während das mit unserem Namen ein bisschen schwierig ist.
Aber das hat eben ein ständiges Weiterentwickeln gegeben.

Schlüsselerlebnis am Nürburgring

[14:13] Wir haben auch mit Carlsson weiterhin Motorsport gemacht.
Wir sind 24 Stunden Rennen am Nürburgring gefahren, haben viele Klassensiege gegen Werksteams errungen.
Und dann, als wir als vierter Tuner in den Mercedes-Markt kamen, nachdem es damals schon AMG, Brabus und Lorinser gab, war es sehr schwer, Fuß zu fassen.
Wir hatten dann ein Schlüsselerlebnis am Nürburgring.

Michael Schumacher hat die schnellsten Mercedes der Welt getestet für Autobild, und wir hatten da auch ein Auto vorbereitet, Basis 190 E mit einem 3,5 Liter Motor.

[15:00] Und Schumacher fuhr mit unserem Auto mit Abstand die schnellste Zeit, vor dem serienmäßigen Evo II, der die Grundserie für das DTM-Auto war, vor einem AMG und einem Brabus-Auto und sagte, sein Wunschauto hätte einen Motor von Carlsson.
Und das hat uns von heute auf morgen, kann man sagen, in dem Kreis der anerkannten Tuner einen Platz beschert.

Thomé:Jetzt hat Ingvar Carlsson ja nicht nur den Namen gegeben, sondern Sie haben auch eben gesagt, er war natürlich als Fahrer auch ein Experte im Bereich der Abstimmung, einer, den Sie auch in die technische Weiterentwicklung eingebunden haben, ganz eng.
[15:41] Gab es da noch weitere Fahrer, die dann auch noch Daten, Erfahrungen da reingeliefert haben?
Also, wie ist die Verbindung zu Carlsson zustande gekommen und warum hat er sie so geprägt?

Rolf Hartge: Carlsson war ein Mercedes-Benz-Werksfahrer zu einer Zeit, als wir noch BMW-Händler waren.
Und er kam einmal mit seinem Monte-Carlo-Werksrallye-Mercedes bei uns vorbei und hat Rennteile für seinen BMW bei uns gekauft.
Und da haben wir uns kennengelernt und wir haben ihm später auch geholfen, seinen BMW, mit dem er für BMW Schweden die schwedische Rallyemeisterschaft fuhr, zu verbessern.
Und er war auch dann mit seinem BMW, auch mit unserer Unterstützung, zweimaliger schwedischer Rallyemeister geworden.

[16:33] Und das hat natürlich eine große Nähe gebracht. Und unter Motorsportlern ist man natürlich schnell befreundet und man hat eine gewisse sportliche Kameradschaft.

Und das hat einfach dazu geführt, dass wir dann auch ihn als Namensgeber mit in diese Firma genommen haben.

Verkauf der Firma auf dem Höhepunkt

Thomé: [16:51] Die Firma Carlsson haben Sie ja dann verkauft 2007. Wie ist es zum Verkauf gekommen? Was hat Sie da bewegt?

Rolf Hartge:Ich war mit meinem Bruder Andreas zu dieser Zeit assoziiert in dieser Firma und mein Bruder hatte gesundheitliche Probleme.
Und aus diesem Grund haben wir überlegt, dass wir die Firma zu dieser Zeit quasi auf ihrem Höhepunkt verkaufen wollten.
2012 ist dann ein chinesischer Investor eingestiegen. Im Mai 2015 wurde dann Insolvenz angemeldet.

Thomé: Kurze Frage, wie fühlt man sich, wenn man die Firma aufgebaut hat?
Das ist das eigene Baby, die Emotionen stecken drin, auch die Perfektion, wenn man dann sozusagen noch aus der Entfernung beobachtet, was aus der Firma geworden ist.

Rolf Hartge:Ja, das tut natürlich weh. Vor allem mit der Firma war ja auch der Ort Merzig und Wiesenhof verbunden. Der Wiesenhof ist ein denkmalgeschütztes Gebäude, das mehr oder weniger zusammengefallen war.
Das haben wir wieder neu aufgebaut. Im Original haben wir den Denkmalschutzpreis dafür bekommen.
Das heißt, die Firma Carlsson war sehr stark geprägt durch dieses historische Gebäude.
Und insofern war es schon sehr schmerzhaft zu sehen, dass die Firma insolvent ging. Und es hat uns wirklich wehgetan, das zu sehen.
Wir hatten uns offensichtlich für den falschen Käufer interessiert.
Und dann kam es eben dazu, dass die Firma nach wenigen Jahren schon insolvent wurde.

Neuer Lebensabschnitt nach dem Verkauf

Thomé: Jetzt ist der Verkauf abgeschlossen. Was macht man nach so einem Verkauf? Gehen einem da mal so Gedanken durch den Kopf, jetzt mache ich mir sozusagen ein schönes Leben, konzentriere mich auf die angenehmen Seiten, bereise die Welt.
Was sind da so Gedanken in Ihrem Kopf gewesen?

Rolf Hartge: Mein Traum war immer, an einem Wassergrundstück zu wohnen und das habe ich dann in der Nähe von Potsdam gefunden.
Da konnte ich einen alten Obstbauernhof kaufen, der leider nicht mehr reparabel war. Den konnte man also nicht mehr herrichten und der wurde dann entfernt.
Und ich habe dann ein Haus dort gebaut und dem Wassersport gefrönt.
[19:23] Aber nachdem das Haus fertig war, wurde es mir langweilig und ich hatte den Drang, wieder irgendetwas mit Automobilen zu tun.
Und so kam es dann, dass ich eine kleine Beratungsfirma gegründet habe und dann in China große Autohandelsgruppen beraten habe beim Vertrieb.
Damals war es in China so, dass nur verteilt wurde.
Das heißt, der Bedarf war größer als die Menge der Autos, die im Markt zur Verfügung standen.
Da musste man eben den Leuten, den Verkäufern und den Firmen zeigen, wie man vertreibt, eben wie wir es hier in Europa ja schon immer notwendig hatten und daraus hat sich dann ergeben dass aus der Beratung mehr wurde und das Interesse und der Kontakt wieder zu Mercedes entstanden ist und so dass wir damals kurze Zeit später einen Vertrag für den Bezug von Pkws und SUVs bekommen haben und mittlerweile auch auch einen Vertrag für die Lieferung von V-Klassen und Sprinter.

[20:36] Und das ist dann der Übergang zu der heutigen Situation, wo wir Fahrzeuge ab Werk beziehen, diese umbauen, nach den individuellen Wünschen unserer Kunden und dann unter unserer Marke und mit der Gewährleistung des Herstellers verkaufen.

Thomé:Und der Gedanke “WIR”, wann kam er zum ersten Mal auf?
Wann haben Sie die Köpfe zusammengesteckt und gesagt, “Können wir so im Gespann Vater-Sohn vielleicht nicht gemeinsam wieder was Neues aufbauen?”.

Hendrik Hartge: [21:04] Im Grunde war es diese Situation auch gerade mit China, was sich da ergeben hat, den Bedarf, den man dann gesehen hat.
Hier ist ein spannendes Thema, Automobilindustrie auf dem chinesischen Markt war jetzt gerade ab 2010 rum auf dem Höhepunkt.
Ich war noch im Studium für Sinologie, also China-Wissenschaften und Betriebswirtschaft und das war natürlich dann auch sehr spannend.
Gerade das hat uns speziell für dieses Thema zusammengeführt, da was zusammenzumachen und auf diesem unglaublich dynamischen Markt etwas neu zu gründen.

Rolf Hartge:Ich glaube, die Magisterarbeit, die du geschrieben hast, das war, glaube ich, irgendwie so ein Auslöser.
[22:08] Das Thema war?

Hendrik Hartge:Vom Kollektiv zum Individuum. Quasi wie sich der Kulturwandel speziell im chinesischen Markt, im Premiumwagenmarkt entwickelt hat.
Wie sich das quasi auch durch die persönlichen Präferenzen mehr durchgesetzt hat von dem typischen “Wir sind eine Gruppe” zu “ich bin eine einzelne Persönlichkeit und möchte meine Persönlichkeit in gewisserweise auch nach außen präsentieren, zum Beispiel durch ein individuelles Fahrzeug etc.”.

Thomé:Das ist ganz spannend, weil sich ja der Zeitgeist auch verändert, weiterentwickelt.
Die Emotionen, ich glaube zum Thema Automobil, insbesondere Mobilität, die sind geblieben.
Früher war es vielleicht die Emotion, schnell zu fahren und zu rasen.
Auch der Tuning-Gedanke, insbesondere dieser der Leistungssteigerung, ist heute anders.
Wir haben weiterhin Emotionen in diesem Thema.
Wie unterscheidet sich da der chinesische vielleicht vom deutschen Markt?
Gerade in vielleicht früheren kommunistischen Ländern, da doch diese Gleichmacherei sicher auch dazu führt, dass der Einzelne auch einen stärkeren Individualismus im höherpreisigen Segment sucht.

Hendrik Hartge: Besonders in China zum Beispiel gab es ja am Anfang wenig, also das Automobil kam erst recht spät.
Das heißt, am Anfang waren es vor allem sowjetische Trucks, die da benutzt wurden etc.
Das heißt, diese gesamte Automobilindustrie war noch gar nicht richtig da, weil gerade durch diesen Arbeiterstaat, war es entwicklungsmäßig etwas abgeschlagen.
Und die Automobilindustrie ist im Grunde genommen erst in den 70er, 80er Jahren gestartet.
[24:02] Und das bedeutet auch, dass durch das Wirtschaftswachstum nach der Reform- und Öffnungspolitik im Grunde genommen mehr und mehr an Fahrt aufgenommen wurde.
Das heißt, anfangs hatten Menschen, die auf einmal zu Geld gekommen sind, zum ersten Mal ein Auto in ihrem Leben. Das ist krass, wenn wir uns vorstellen, dass wir alle mit Autos aufgewachsen sind. Seit wir Kinder sind, sitzen wir schon im Fahrzeug hinten dabei und so weiter.
Und hier war es dann so, dass dann schlagartig Geld dafür zur Verfügung stand und man dann eben auch gerne Teil dieses Statussymbol werden möchte.
Und dann waren alle Katzen erstmal grau. Hauptsache es war ein Fahrzeug da und das müsste dann besonders sein, also gerade so eine schwarze Limousine, Behördenfahrzeug, was eben nach außen etwas dargestellt hat.
Und dann kam mehr und mehr dieser Wandel, ich möchte aber nicht das haben, was mein Nachbar hat, sondern möchte mich vielleicht mit irgendwas herausheben und möchte etwas anderes darstellen als nur, in Anführungszeichen, die schwarze
Limousine.

Thomé: [25:18] Jetzt haben Sie ja mit Carlsson auch sehr, sehr viel selbst entwickelt, selbst gebaut, auch physische Komponenten eines Fahrzeugs, also die Leichtmetallfelgen, Speichenfelgen, habe ich da in Erinnerung, Kompressor aufgeladene Motoren, Tuning-Programme, Also auch Software auf Zusatzsteuergeräten, da steckt ja wahnsinnig viel technisches Know-how dahinter.
Da sind Sie ja, Rolf, glaube ich, der Ingenieur, der dahintersteckt, der das alles auch selbst von der Kompetenz her so drauf hat.
Wie hat sich denn sozusagen die Rolle des technischen Know-hows entwickelt?
In einer Zeit, in der es ja mehr um Design, um Funktionen, jetzt nicht mehr um Leistungssteigerung geht, weil die Produkte, die Sie sozusagen veredeln, die haben ja schon von Natur aus auch eine hohe Leistung.

Tuning: Abstimmung auf individuellen Bedarf

Thomé: [26:16] Sie sprachen eben von Tuning. Tuning heißt abstimmen. Abstimmen auf einen individuellen Bedarf.
Früher war das so, dass der Kunde gerne sein Auto in sportlicher Hinsicht verbessern wollte.
Da gab es Leistungssteigerungen, das Fahrwerk wurde verbessert, die Eigenschaften der Bremsen wurden verbessert, im Interieur, man hatte Schalensitze und so weiter.
Das hat sich gewandelt. Das Auto hat heute von Hause aus schon sehr viel mehr Leistung, mehr Drehmoment, es hat ein besseres Fahrwerk, man kann sogar verschiedene Fahrwerksvarianten einstellen von innen, es hat gute Bremsen.
Man könnte sagen, wenn man Autofahren lernt in sportlicher Hinsicht, was auch immer ein Sicherheitsaspekt mit sich bringt, wenn man sein Auto beherrscht, dann kann man sehr viel Freude mit dem Auto haben, so wie es serienmäßig angeboten wird.
Aber der Kunde hat heute trotzdem den Bedarf, sein Auto in einer anderen Hinsicht zu verbessern.
Und das betrifft eben die Funktion, das Wohlfühlklima, ein Wellness-Gedanke kommt ins Spiel, mehr Funktionen. Und das sind Dinge, die heute mehr im Vordergrund stehen.
Und insofern hat sich unser Thema auch gewandelt. Wenn man bei dem Begriff “Tuning” bleiben will, muss man Tuning neu definieren.
[27:44] Das, was früher war, könnten wir ohnehin oder liefern wir ja zum Teil auch, aber es gibt eben einen sehr interessanten neuen Bereich und das ist der Innenraum mit seinen Funktionen.

Thomé:Also, Wohlfühlen ist das neue Tuning.
Braucht man da noch viel technisches Know-how?

Rolf Hartge: Ja, natürlich, aber anders. Das ist insbesondere jetzt technisches Know-how, was Hendrik mitbringt, der sich sehr intensiv mit den Innenräumen befasst. Und insofern gibt es eine sehr gute Ergänzung zwischen dem, was wir beide anzubieten haben.

Smart Luxury: Innovativer Zusatznutzen und Anpassung an Bedürfnisse

Thomé:Da würde ich gerne mal einhaken. Sie haben gesagt, was man braucht.
Was ist in dem Zusammenhang Smart Luxury und wer braucht Smart Luxury?

Hendrik Hartge: [28:26] Wir haben uns überlegt, eigentlich geht es ja darum, dass man einen Zusatznutzen bringen will.
Es soll ja wirklich ein Mehrwert sein für den Nutzer.
Da ist einfach ein “einfacher” Luxus oft zu wenig.
Es muss innovativ sein, es soll etwas bringen.
Es soll eben auch dieses Wohlfühlen unterstreichen. Also aus unserer Sicht, man soll sich eben wohlfühlen, auch in den Fahrzeugen, die wir bauen, und das soll eben den Zusatznutzen bringen.
In unserem Fall, also jetzt mal gerade in dem Bereich V-Klassen-Umbau, sieht man das, glaube ich, am besten.
[29:12] Sei es zum Beispiel durch unser Gesundheitskonzept, was wir entwickelt haben und auf der anderen Seite, was eben komfortabel ist natürlich, aber auch zum Beispiel, wenn ich jetzt an modernes Arbeiten, hybrides Arbeiten, wie man es heute begreift, ein Fahrzeug mehr wird als einfach nur ein Fahrzeug, sondern etwas, mit dem ich umgehe, mit dem ich jeden Tag unterwegs bin, was im Grunde genommen ja ohnehin auch nicht zuletzt durch das autonome Fahren immer mehr zum dritten Lebensraum zwischen meinem Zuhause und der Arbeitswelt wird.
Also die Arbeitswelt klassischerweise verschwimmt ja auch heute schon, indem ich, wenn ich immer mehr über hybrides Arbeiten spreche und sage, ich kann ja auch Homeoffice machen, egal wo ich arbeite.

[30:07] Die Anpassung an die Bedürfnisse von heute, dem Kunden ein Produkt an die Hand zu geben, was sich an den Bedürfnissen orientiert, die er heute halt, die mehr für ihn im Fokus stehen als vielleicht früher.

Thomé: Also Sie verbinden Luxus sozusagen im Sinne innovativer Zusatznutzen, kein Selbstzweck, an Bedürfnissen, an Anforderungen orientiert.
Kann man da sagen, dass China da ein bisschen weiter ist, dass Sie da Erfahrungen sammeln, die Sie vielleicht auch in Deutschland dann nutzen, dann umsetzen können?

Chinesischer Markt: Dynamische Entwicklung und Digitalisierungsaffinität

Hendrik Hartge: [30:43] Ich würde sagen, ja. Ehrlicherweise muss man sagen, der chinesische Markt hat sich sehr dynamisch entwickelt.
Vor allem, die Chinesen sind, sagen wir mal, gerade was Digitalisierung angeht, affiner als wir in Deutschland, vor allem in Deutschland, aber auch in Europa.
Man ist schneller bereit, etwas Neues anzunehmen, ist vielleicht nicht so oft verhaftet in bestimmten Denkmustern wie wir hier vor Ort und ich sage jetzt mal “wertefrei”.
Aber das führt wiederum dazu, dass man auch eher mal etwas ausprobiert.
Und wenn man heute auch sieht, wie gut Elektrofahrzeuge jetzt hier ankommen, wo chinesische Firmen seit Jahrzehnten versuchen, in den Verbrennermarkt in Europa reinzukommen und das vergeblich, weil gerade diese Verbrennertechnik sehr schwierig ist, so sieht man heute, dass auch der ein oder andere deutsche Autohersteller Schwierigkeiten wiederum auf dem chinesischen Markt hat mit elektrischen Autos, weil hier teilweise schon von Konnektivität etc. mehr und anders gedacht wird, moderner gedacht wird.
Und ich glaube, dass man heutzutage auch vom chinesischen Markt viel lernen kann, für den europäischen und deutschen Markt.

Thomé:Sie haben das gerade mit den Verbrennern gut beschrieben. Ich glaube, im Elektromobilitätsbereich ist das umgekehrt.
Da nehme ich auch in Deutschland zum Teil auch die Sorge wahr.
[32:24] Dass der Automobilmarkt der Zukunft eher von chinesischen Marken dominiert wird.
Ist diese Sorge berechtigt? Wie schätzen Sie das ein?

Rolf Hartge: Die Sorge ist sehr berechtigt, weil die Qualität der Elektroautos aus China sehr gut ist.
Was bei den Verbrennern nicht der Fall war. Die Verbrenner waren in keiner Eigenschaft vergleichbar mit westlichen Autos.
Aber die Elektroautos haben einen sehr hohen Qualitätsstandard und sie bieten sehr viel Zusatznutzen, gerade was Konnektivität betrifft.
Und da haben wir sehr großen Nachholbedarf und, weil wir zu spät angefangen haben, uns Mühe zu geben.
Wir haben diese Zeit verschlafen, den Start haben wir verschlafen, wir haben es unterschätzt und eigentlich hätte uns Tesla die Augen öffnen müssen und wir hätten uns früher solche Gedanken machen müssen.

Hohe Ansprüche an Mitarbeiter und Team

Thomé: [33:27] Sie sind sehr kreativ und haben viele Ideen. Um sie umzusetzen, braucht man natürlich auch eine Firma.
Da braucht man auch ein Team, das stark ist. Jetzt haben Sie natürlich hohe Ansprüche.
Auf der Homepage finde ich auch nur das Beste aus dem Besten sozusagen.
Das ist ja alles eine hohe Messlatte, das sind hohe Ansprüche.
Ist es für Sie einfach, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden in einer Zeit, die durch Arbeitskräftemangel geprägt ist und alle überall auch Probleme haben, Leute zu finden? Wie sieht es bei Ihnen aus?

Hendrik Hartge: Ich glaube, in manchen Bereichen ist es uns leichter gefallen, vielleicht auch erstaunlich leichter gefallen, Jetzt gerade, wo wir unser Team auch ausbauen in dieser Phase und expandieren, neu investieren, hier in Überherrn, haben wir am Ende fast alle Stellen besetzen können. Wir lassen uns aber teilweise Zeit.
Wir sind ein Familienunternehmen und entsprechend sehen wir auch das Verhältnis quasi familiär.
Es muss für alle Seiten passen, jeder muss sich wohlfühlen.
[34:46] Es ist eben nicht alles zwei- oder dreimal besetzt. Das heißt, jeder -wie mein Vater auch schon gesagt hat- ist wichtig.

Thomé:Frage an beide, wo sehen Sie denn Ihr Unternehmen in fünf Jahren?
Wie wäre sozusagen Ihre Vision, wenn Sie da einen Wunsch frei haben?
Hendrik vielleicht zunächst mal an Sie:

Hendrik Hartge: Also, in jedem Fall auch weiterhin im Saarland, wir fühlen uns hier sehr, sehr wohl.
Im Grunde sehen wir uns auch regional verwurzelt, aber in der Welt zu Hause, gerade mit unseren Produkten.

Expansion in den asiatischen Markt

[35:20] Wir sehen uns vor allem auch auf einem asiatischen Markt, der sehr, sehr spannend und immer spannender wird. Also jetzt mal abgesehen von China auch viele andere, gerade Tigerstaaten, die sehr spannend werden.
Gerade diese Nische des hybriden Arbeitens, Wohlfühlen im Fahrzeug, diese Nische wollen wir voll und ganz besetzen.
Und gerade weil die Relevanz ist auch immer noch da, wenn man überlegt, dass die Serie im Grunde genommen ja für die Masse hergestellt wird.
Selbst wenn ich einen Maybach oder eine S-Klasse sehe, die ja absolut besondere Fahrzeuge sind, die ja aber dennoch Hunderttausende von Kunden am Ende haben.
Es ist unser Anspruch, auch das Individuum noch eher und die Nische eben noch mehr anzusprechen und genau das, was die Nische eben braucht, zu bedienen und diesen individuellen Ansatz weiter zu verfolgen.

Thomé: Rolf, wie wäre Ihre Vision?

Die Vision der individuellen Ausstattung im autonomen Auto

Rolf Hartge: Ja, im Prinzip sehe ich das auch so. Ich sehe uns stark wachsen im Interieurbereich, auch im Hinblick auf das autonome Auto.
[36:42] Wir werden unsere Stärken dort ausbauen, Zusatzfunktionen liefern, mit Materialien, die nachhaltig und recycelbar sind.
Und da gibt es ein Riesenfeld. Denn der Anspruch der Menschen, sich individuell auszustatten, wird bleiben.
Wir glauben, dass der Anspruch hier zunimmt. Und mit dem autonomen Auto wird er noch mehr zunehmen, weil man da viel mehr Platz und viel mehr Möglichkeiten hat.
Und das ist unser Thema, Digitalisierung des Autos, die Konnektivität verbessern im Auto und das Auto zu einem fahrbaren Haus machen, dass mehr oder weniger alle Funktionen, die man im Haus hat oder die man im Büro hat, in seinem Auto wiederfindet.

Thomé: [37:33] Also wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, dass alle ihre Visionen und Träume sozusagen Wirklichkeit werden und dass Sie alles, was sie vorhaben, dann auch im Saarland weiterhin umsetzen.
Eine Frage würde mich persönlich noch sehr interessieren, wenn ich ihren Namen in Google eingebe und auch auf Ihrer Homepage mich mal umschaue, dann sehe ich dort S-Klasse, G-Klasse, Maybach.
Welche Autos fahren Sie privat? Wahrscheinlich auch einen Maybach wahrscheinlich?

Neues sportliches Ziel:

Hendrik Hartge: [38:03] Nein, bei mir ist es ein GLC-E.

Rolf Hartge: Ich habe eine E-Klasse, einen 220 Diesel, den ich mit 4,6 Liter Durchschnittsverbrauch fahre.
Und das ist ein neues Ziel. Ich möchte 4,5 Liter unterschreiten, ohne dass ich dabei langsam fahre oder meine Fahrzeit verlängern möchte.

Hendrik Hartge: Wie viel hast du jetzt? 4,5?

Rolf Hartge: 4,6

Hendrik Hartge: Ah ja, gut, neue Challenge.

Thomé: Ja, ganz spannend. So ändern sich die Ziele. Früher waren es die Rundenzeiten als Rennfahrer und jetzt sind es die Verbrauchszahlen.

Ja, lieber Rolf, lieber Hendrik Hartge, das waren ganz faszinierende Einblicke in die Denkweise in Ihr Unternehmen.
Ganz herzlichen Dank für unser Gespräch.

Hendrik Hartge: Vielen Dank auch für die Einladung und für die Möglichkeit, unsere Firma hier vorzustellen.

Thomé: Alles Gute für Sie. Danke nochmal.

Hendrik Hartge: Dankeschön, gleichfalls.