Energiewende-Barometer 2023: Historisch schlechtes Ergebnis
IHK: Energiepolitik belastet Wettbewerbsfähigkeit der Saarwirtschaft überdurchschnittlich
Ein wesentlicher
Auslöser für die negativen Einschätzungen der Unternehmen sind die
energiepolitischen Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.
Nach dem Energiepreisschock Ende letzten Jahres und dem relativ glimpflich
verlaufenen Winter sind die Unternehmen zutiefst in Sorge, was die weitere
Entwicklung angeht. Sie sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit zunehmend infrage
gestellt. Denn die Energiepreise blieben auf einem hohen Niveau und es mangelt
an positiven Aussichten für die Wirtschaft in Deutschland. Aus Sicht der
Betriebe rücken so fehlende Planbarkeit und Verlässlichkeit in der
Energiepolitik an die erste Stelle der Transformationshemmnisse. Dabei sehen
sich die Unternehmen zunehmend mit Vorgaben konfrontiert, die in der Praxis
kaum umsetzbar sind. Hinzu kommen Einsparziele aus dem Energieeffizienzgesetz,
von denen niemand sagen kann, wie sie ohne ein Herunterfahren der Produktion
erreicht werden können. Damit fehlt den Betrieben letztlich die zentrale
Planungsgrundlage für Zukunftsinvestitionen
Seit Beginn der
Erhebung im Jahr 2012 wird die Energiewende von der deutschen Wirtschaft
insgesamt überwiegend skeptisch beurteilt. Lediglich in den Jahren 2016 und
2017 war die Bewertung positiv. Über die Branchen hinweg überwogen damals die
Chancen die Risiken. Diese Entwicklung kehrte sich 2018 um und der
Barometerwert, der die Auswirkungen der Energiewende auf die
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf einer Skala von 100 „sehr positiv“ bis
-100 „sehr negativ“ angibt, liegt seither im negativen Bereich. Aktuell
bewerten die Unternehmen die Energiewende mit -26,9 Zählern. Das ist ein
historischer Tiefstand.
Saarland weiterhin deutlich kritischer
Wie schon in den
Vorjahren bewerten die Saar-Unternehmen die Auswirkungen der Energiewende auf
ihre Wettbewerbsfähigkeit insgesamt deutlich kritischer als im Bund. Mit -31,6
Zählern wurde der Bundeswert sogar noch deutlich unterschritten. Dies liegt
nicht zuletzt an der besonders negativen Einschätzung der Energiewende durch
die Saar-Industrie. Nach dem bisherigen Allzeittief von -37,5 Zählern im Jahr 2019
und einer zwischenzeitlichen Verbesserung stürzte der Barometerwert in der
Industrie geradezu ab und markiert aktuell mit -43,3 Zählern einen neuen
Negativrekord. Offensichtlich geht es in vielen Industriebetrieben inzwischen
um die Existenz. Dies ist besonders bedrohlich für den Wirtschaftsstandort
und gefährdet letztlich das wirtschaftliche Überleben des Saarlandes. Die
Politik in Bund und Land ist daher dringend gefordert, umzusteuern und die
Unternehmen rasch und umfänglich zu entlasten, statt ihnen noch weitere
Energiewendekosten aufzubürden. Denn die sind mittlerweile zu einer Hypothek
für den Transformationsprozess zu einer klimaneutralen Wirtschaft geworden.
Hohe Energiepreise hemmen Investitionen in der Industrie
Besorgt
schauen insbesondere die Industrieunternehmen deshalb auch auf die Entwicklung
der Energiepreise. Überall fahren sie ihre Investitionen wegen der hohen
Energiekosten zurück. Auffällig betroffen von dieser Zurückhaltung sind
Investitionen in Kernprozesse, d. h. zentrale Ersatz- oder
Erweiterungsinvestitionen. Sie werden bundesweit bei rund 39 Prozent aller Industriebetriebe
zurückgefahren. Im Saarland ist dies sogar bei knapp 47 Prozent der Unternehmen
der Fall. Das ist aber das Gegenteil eines Investitionsaufschwungs, der zur
Bewältigung der aktuellen Krisen nötig wäre.
Bedenklich
ist auch die Situation bei den Klimaschutzinvestitionen. Sie sind am
zweitstärksten von den hohen Energiekosten betroffen und werden bundesweit von mehr
als 27 Prozent der Industrieunternehmen gekürzt. Im Saarland sogar von 40
Prozent. Damit ist eine erfolgreiche Transformation der Saar-Industrie in
Richtung Klimaneutralität mehr als gefährdet.
Etwas
weniger betroffen sind zumindest die Investitionen in Forschung und Innovation.
Aber auch hier fahren bundesweit ein Viertel der Industriebetriebe ihre Investitionen
zurück. Im Saarland reagieren ein Drittel der Unternehmen so. Auch auf diesem
Feld geraten Saar-Unternehmen damit längerfristig ins Hintertreffen gegenüber
ihren Wettbewerbern.
Energiewende verstärkt Abwanderungstendenzen der Industrie
Die
Investitionsentscheidungen haben in der Summe langfristig erhebliche
Auswirkungen auf das Überleben des Wirtschaftsstandorts. In der Industrie
nehmen deshalb auch die Pläne deutlich zu, dem Standort Deutschland den Rücken
zu kehren. Knapp 32 Prozent der deutschen Industriebetriebe plant oder
realisiert die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland beziehungsweise die
Einschränkung ihrer Produktion im Inland. Im Saarland äußern sich so lediglich
rund 14 Prozent. Die Standorttreue scheint also bei vielen saarländischen
Industriebetrieben weiterhin noch stark ausgeprägt zu sein. Allerdings äußert
sich die Hälfte der Betriebe gar nicht zu diesem Thema, was darauf
zurückzuführen sein könnte, dass derartige strategische Entscheidungen in den
Unternehmenszentralen mit Sitz außerhalb des Saarlandes getroffen werden. Ein
Indiz dafür ist auch die besondere Zurückhaltung bei den Großbetrieben (67
Prozent).
Was die Wirtschaft von der Politik erwartet
Angesichts der nach wie vor zahlreichen Baustellen der Energiepolitik von den Strompreisen bis hin zum Netzausbau muss die Politik schnellstmöglich gegensteuern, um der Wirtschaft eine Perspektive in Deutschland zu erhalten.
Die IHK-Organisation hat deshalb fünf
Punkte für eine erfolgreiche Energiewende und einen stärkeren Wirtschaftsstandort
erarbeitet:
1. Energiepreise durch höheres Angebot senken
Immer mehr
Industrieunternehmen sehen sich durch die hohen Energiepreise und das unsichere
energiepolitische Umfeld gezwungen, ihre Produktion am Standort Deutschland
einzuschränken oder sogar ganz abzuwandern. Ohne Entlastungen verlieren die
Unternehmen ihre Energiewendefähigkeit.
In einem
ersten Schritt könnten wettbewerbsfähige Energiepreise durch niedrige Steuern
und Abgaben in der Breite erreicht werden. Zweitens lassen sich mit einem
Investitionszuschuss für Direktlieferverträge (PPA) zusätzliche Kapazitäten bei
Erneuerbare-Energien-Anlagen heben und so die Strompreise ebenfalls senken. Für
hochenergieintensive Unternehmen, für die die genannten Maßnahmen nicht
ausreichen, um im harten internationalen Wettbewerb zu bestehen, könnten
ergänzende Maßnahmen "zielgerichtet und beihilferechtskonform" helfen.
Dabei sollten jedoch Konditionalitäten und Berichtspflichten so gering wie
möglich ausfallen.
Herzstück des
DIHK-Konzepts ist die Ausweitung des Stromangebots und eine Reduzierung der
Stromnebenkosten durch die sogenannte
StromPartnerschaft
. Mit StromPartnerschaften zwischen
Betreibern erneuerbarer Energien und Verbrauchern aus Industrie und Gewerbe
wird die Energie direkt vom Erzeuger geliefert. In Kombination mit einem
Investitionszuschuss und einer Entlastung bei den Netzentgelten führt dies zu
einer schnellen Ausweitung des Energieangebots und niedrigeren Strompreisen.
Die Effekte
der StromPartnerschaft auf Beschaffungspreise der Unternehmen, den Ausbau
erneuerbarer Energien und die Kosten für den Bundeshaushalt in Höhe von
jährlich rund 2,9 Milliarden Euro wurden im Rahmen einer Studie von PwC
berechnet. Im Ergebnis wird deutlich, dass mit den StromPartnerschaften ein
Drittel des Industriebedarfs an Strom durch Erneuerbare abgedeckt werden könnte
– und zwar deutlich früher und zu konkurrenzfähigeren Preisen als bisher
geplant.
2. Wasserstoff verfügbar machen
Eine
ausreichende Versorgung mit Wasserstoff macht vor allem den Betrieben in den
industriellen Regionen große Sorgen – und zwar von der Menge und der regionalen
Verfügbarkeit her. Wasserstoff ist unverzichtbar für die Energiewende hin zur
Klimaneutralität. Viele Industrieprozesse können nicht elektrifiziert werden,
weil sie hohe Temperaturen in der Prozesswärme brauchen oder Wasserstoff als
Grundstoff für die Produktion.
Die
Bundesregierung strebt bis 2030 eine Elektrolysekapazität von 10 Gigawatt bei
grünem Wasserstoff an. Damit könnte ein Fünftel des geschätzten Gesamtbedarfs
von rund 130 Terawattstunden an Wasserstoff produziert werden. Ende letzten
Jahres hatten wir in Deutschland 79 Megawatt an realisierter
Elektrolyse-Leistung in Deutschland, also weniger als 1 Prozent der
Zielvorgabe.
Unternehmen
benötigen Planungssicherheit. Das Tempo der Wasserstoffproduktion muss sich
massiv erhöhen. Von Beginn an sollte das Wasserstoff-Kernnetz einer regionalen
Planung unterliegen, um sicherzustellen, dass die Infrastruktur entsprechend
den Bedarfen der Unternehmen entwickelt wird. Ohne Importe wird der
Wasserstoffbedarf zudem nicht gedeckt werden können. Energiepartnerschaften mit
potenziellen Lieferländern sollten zügig, breit gestreut und langfristig
geschlossen und einheitliche oder zumindest vergleichbare Standards für
klimaneutralen Wasserstoff geschaffen werden
3. Planbarkeit erhöhen
Fehlende
Planbarkeit und Verlässlichkeit in der Energiepolitik ist das
Transformationshemmnis Nummer eins für die Betriebe. Eine radikale
Vereinfachung ist daher nötig: Alle Genehmigungsanträge, die eine Verwaltung
durchlaufen müssen, sollten mit verbindlichen Start- und Endterminen versehen
werden. Eingereichte Anträge, die in diesem Zeitraum nicht durch die Behörden
beschieden werden, gelten dann automatisch als genehmigt.
Schneller und
einfacher wird es auch, wenn die Bundesregierungen bereits eingeführte
Beschleunigungsverfahren auch auf andere Bereiche ausdehnt – etwa die
Erleichterungen für LNG-Terminals auf andere Infrastrukturprojekte oder die
Entlastungen beim Solarpaket, die bislang nur für private Immobilienbesitzer
gelten.
4. Bürokratie abbauen
Betriebe
sehen sich einer wachsenden Zahl von Berichtspflichten und bürokratischen
Vorgaben gegenüber. Selbst mögliche Ansprüche auf finanzielle Entlastung wie
bei den Energiepreisbremsen machen sie teilweise gar nicht erst geltend, weil
Aufwand und Auflagen dafür abschreckend hoch sind. Hinzu kommen neue
bürokratische Auflagen wie beispielsweise im Rahmen der verbindlichen
Nachhaltigkeitsberichterstattung. Aber auch Anträge auf Netzanschluss und
Zertifizierungen führen bei der Errichtung von größeren PV-Anlagen bei
Unternehmen schnell zur bürokratischen Überforderung.
Der
Grundsatz, dass für eine neue eine alte Vorschrift wegfallen muss, scheint bei
den Energiewende-Themen ausgesetzt. So gibt es jetzt zwar weniger Vorschriften
bei der Genehmigung von PV-Anlagen. Dafür kommen an anderer Stelle, nämlich
beim neuen Energieeffizienzgesetz, gleich mehrere neue Regelungen dazu. Damit
müssen jetzt viele Betriebe neue Managementsysteme einrichten, die wiederum
zertifiziert werden müssen. Abgesehen von den Dopplungen von Prozessen in den
Prozessen gibt es dabei noch nicht einmal genügend Energieberater und
Zertifizierer, um die formalen Anforderungen zu erfüllen.
Die
bürokratischen Anforderungen binden Personal und Finanzmittel, die an anderer
Stelle fehlen. Sie behindern unternehmerische Kreativität und schränken
vorhandene Potenziale ein. Aus Sicht der Unternehmen sollten
Wirtschaftlichkeit, Freiwilligkeit und Technologieoffenheit die Leitprinzipien
für energiepolitische Maßnahmen besonders in Bezug auf Energieeffizienz sein.
Diese Prinzipien sind zielführender für die Energiewende als bürokratische
Nachweis-, Berichts- und Umsetzungspflichten.
5. Stromnetze bauen
Der Ausbau
der Stromnetze kommt nur schleppend voran: Im Zuge der Energiewende werden
12.000 Kilometer an neuen Stromleitungen benötigt. Etwa 9.000 Kilometer, also
drei Viertel davon, sind bislang noch nicht einmal genehmigt, geschweige denn
in Bau.
Fehlende
Netze führen zu kostenintensiven Abschaltungen besonders von Windkraftanlagen
und Eingriffen zur Netzstabilisierung, die die bereits heute hohen Netzentgelte
weiter ansteigen lassen. Dies gefährdet die Energieversorgung und macht sie für
die Unternehmen deutlich teurer. Nach aktueller Planung sind bis 2045
Investitionen von etwa 250 Milliarden Euro für ein zukunftsfähiges Stromnetz
notwendig. Diese Kosten werden über weiter steigende Netzentgelte auf
Unternehmen und Verbraucher umgelegt.
Hier braucht
es ein klares Zeichen der Politik, die Netzentgelte zu begrenzen. Sie machen
heute schon bis zu 20 Prozent des Strompreises aus. Hohe Netzentgelte durch
stärkeren Stromeinsatz anstelle von Gas dürfen die Transformation der Betriebe
in Richtung Klimaneutralität nicht behindern.
Alle Ergebnisse der bundesweiten Umfrage mit weiteren Details finden Sie hier zum Download.