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Quo vadis Europa?

Im Blickpunkt
Von Heino Klingen

11.12.2017

Die europäische Idee hat gerade nicht den besten Leumund. Erst stürzen sich die Briten von der Klippe und dann glauben die Katalanen, ihnen wie die Lemminge folgen zu müssen. Dabei kann man den Briten noch zugute halten, dass sie mit falschen Versprechungen in die Irre geführt wurden. In Katalonien spielen zwar auch finanzielle Erwägungen eine Rolle, sie sind aber nicht das zentrale Motiv. Stattdessen dominiert dort der Drang nach Loslösung von Spanien. Regionale Autonomie genügt den Katalanen nicht. Sie wollen ihr eigenes Land.

Mehr nationale Souveränität gibt es nicht zum Nulltarif. Sie kostet Geld. Das zeigt das Hickhack um den Brexit. Potenzielle Nachahmer schreckt das aber nicht ab. Wie sonst lassen sich die jüngsten Wahlergebnisse in Deutschland, Österreich und Tschechien erklären, wo europaskeptische und europafeindliche Parteien deutlich zulegen konnten. Der Wunsch nach Renationalisierung, überschaubaren Verhältnissen und ethnischer Abschottung ist offenbar größer als die Angst vor wirtschaftlichen Verlusten. Oder, um es mit den Worten eines
Londoner Händlers zu sagen, der auf die Verteuerung von Importgütern infolge der Pfundabwertung nach dem Brexit angesprochen wurde: „Na und, für den Stolz der Nation muss man das in Kauf nehmen.“ Von wegen „it’s the economy“. So schnell ändern sich die Zeiten.
Deshalb ist es auch eine Illusion zu glauben, dass die aktuelle wirtschaftliche Erholung im Euroraum die Sehnsucht nach wärmender Identität in verriegelten Gemeinschaften stillen könnte. Mehr Wohlstand, steigende Beschäftigung und höhere Einkommen sind notwendige, aber noch lange keine hinreichenden Bedingungen für ein geeintes Europa, geschweige denn für einen Neuaufbruch und die Wiederbelebung der europäischen Idee. Dazu bedarf es einer Vision, die es nicht bei der obligatorischen Beschwörung der europäischen Werte von Aufklärung, Freiheit, Rechtsstaat und sozialem Ausgleich belässt. Sondern die darüber hinaus Antworten gibt auf die drängendsten Herausforderungen unserer Zeit – von der Klimaerwärmung, dem digitalen Wandel, über die Migration bis zum Terrorismus und einer gemeinsamen Verteidigung.

Den Ball aufnehmen

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat hierzu Ende September in einer viel beachteten Rede an der Sorbonne erste Gedanken vorgetragen. Dabei ging er auch auf die Zukunft der Währungsunion ein. Einige Vorschläge davon sind in Deutschland gar nicht gut angekommen. Ein europäischer Finanzminister mit eigenem Budget, Harmonisierung
der Körperschaftsteuer mit festen Ober- und Untergrenzen für die Steuersätze, EU-Sozialfonds mit Angleichung von Mindestlöhnen – bei solchen Ideen läuten hierzulande sofort die
Alarmglocken. Was das uns Deutsche nur wieder kostet – so peinlich und kleinkariert fiel die Reaktion in Politik und Medien bei uns aus.
Das grenzt schon an Realitätsverdrängung. Denn Produktions-, Liefer- und Wertschöpfungsketten sind längst über Grenzen verknüpft und brauchen einen gemeinsamen europäischen Rahmen. Oder anders gesagt: Der Binnenmarkt muss durch eine verstärkte wirtschaftspolitische Zusammenarbeit abgesichert werden. Seien wir deshalb froh, dass das Bewusstsein über die Erfordernisse der Zeit in Paris besser ausgeprägt ist als hierzulande. Der Saarlandbotschafter und Präsident der Banque de France, François Villeroy de Galhau, hat es sich
deshalb auch nicht nehmen lassen, 25 Jahre nach Maastricht und anlässlich der Macron-Rede in der „ZEIT“ für eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit zu werben: „Die Währungsunion ist ein Erfolg, an der Wirtschaftsunion müssen wir noch arbeiten.“
Dahinter steht natürlich auch die Erkenntnis, dass eine Währungsunion auf Dauer keinen Bestand haben kann, wenn die eklatanten Niveauunterschiede bei zentralen volkswirtschaftlichen Größen wie Volkseinkommen, Verschuldung oder Arbeitslosigkeit immer größer werden statt sich anzunähern. Dieses Auseinanderdriften gilt es zu stoppen und in eine konvergente Entwicklung zu drehen. Und genau darauf zielen die wirtschaftspolitischen Gedanken Macrons.
Ob alle seine Vorschläge zielführend sind? Wer weiß das schon. Manche sind schließlich vorerst nur Ideen. Er selbst hat deshalb die Einrichtung einer „Gruppe zur europäischen Neugründung“ vorgeschlagen, die bis zum Sommer 2018 die Anregungen in konkrete Projekte für eine klare Reformperspektive der EU kleiden soll. Man kann diesem Vorhaben nur alles Gute wünschen – gerade auch aus saarländischer Sicht. Denn ein „Weiter wie bisher“ führte uns schnurstracks an den Abgrund und möglicherweise darüber hinaus. Bleibt zu hoffen, dass die Spezies des homo europeensis sich klüger verhält als die Lemminge.