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Strukturbewältigung statt Pessimismus

Im Blickpunkt
Von Dr. Heino Klingen

12.11.2019

Seit zwei Jahren wächst die saarländische Wirtschaft nicht mehr. Die Dieselkrise, der Brexit und der Handelsstreit zwischen den USA und China haben vor allem die Industrie in die Defensive gedrängt. Dass in einer solchen Situation Nachrichten über beabsichtigte Stellenstreichungen in den Kernbranchen unserer Industrie wie Hiobsbotschaften aufgenommen werden, ist mehr als verständlich. Aber wir sollten uns davor hüten, in Schwarzmalerei zu verfallen. Denn das käme einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleich. Das nur Gedachte könnte so tatsächlich Wirklichkeit werden.

Um dem wirksam entgegenzutreten, ist zunächst dreierlei erforderlich. Erstens Geschlossenheit: Das Land muss zusammenstehen und mit einer Stimme nach innen und außen auftreten. Störmanöver von wem auch immer, die die Geschlossenheit aufs Spiel setzen, sollten unisono zurückgewiesen werden.

Zweitens Entschlossenheit: Nur zielgerichtetes und couragiertes Handeln wird dazu führen, dass das Saarland ein wichtiger Wirtschaftsstandort und eine lebendige Region bleibt.

Drittens Zuversicht: Ein Blick in die saarländische Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass auch schwierige Herausforderungen zu bewältigen sind. Daran gilt es in Zeiten wie diesen zu erinnern. Etwa an die erfolgreiche Bewältigung der Bergbau- und Stahlkrisen der vergangenen Jahrzehnte. Oder an die Konsolidierung des Landeshaushalts. Selbst eingefleischte Optimisten hatten nicht daran geglaubt, dass es gelingen könnte, das Defizit im Landeshaushalt auf Null zu bringen. Und heute? Geschafft! Dank einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller relevanten und verantwortungsvollen Akteure im Land.

Mit einem eigenen Zukunftssicherungsprogramm ...

Gute Narrative sind wichtig. Sie reichen aber allein nicht aus, um nachhaltig Zutrauen und Zuversicht im Land zu stiften. Sie müssen politisch geerdet werden. Deshalb sollte die Landesregierung spätestens jetzt ihrem Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, ein „zukunftsorientiertes ganzheitliches Standortkonzept“ zu entwickeln, Taten folgen lassen.

Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Denn vom kommenden Jahr an erhält das Saarland zusätzlich 400 Millionen Euro aus dem neuen Länderfinanzausgleich. Aus Sicht der Wirtschaft sollten diese Mittel hauptsächlich zur Stärkung der Wirtschaftskraft eingesetzt werden. Hier ist vieles denkbar – von Infrastrukturinvestitionen im Verkehrsbereich über Sanierungen von Schulen und Hochschulen bis hin zu Attraktivitätssteigerungen unserer Innenstädte. Welche Projekte tatsächlich in Angriff genommen werden, müsste jetzt rasch in einem Strategieprozess geklärt und dann in einem „Zukunftsbild Saarland 2030“ abgebildet werden.

Das Zukunftskonzept sollte auch Antworten geben auf die Frage, wie der Industriestandort Saarland konkurrenzfähig bleiben kann. Hier ist einiges zu tun, denn die Standortkosten sind hierzulande zum Teil deutlich höher als in anderen Regionen Deutschlands – von ausländischen Industriestandorten ganz abgesehen. Bislang sind die Unternehmen mit diesem Nachteil noch einigermaßen zurechtgekommen. Doch mit der automobilen Wende dürfte das immer schwieriger werden. Denn gleich welche Technologien sich letztlich durchsetzen werden, alle erfordern massive Investitionen. Damit diese nicht an den saarländischen Werken der weltweit tätigen Konzerne vorbeigehen, müssen wir bei den Standortkosten deutlich attraktiver werden. Denn – da kann man lamentieren wie man will: Konzerne treffen Investitionsentscheidungen nun mal vorrangig nach Renditegesichtspunkten.

... den Bund in die Pflicht nehmen

Insgesamt muss das Zukunftsbild so überzeugend sein, dass es auch im Bund verfängt. Denn ohne Bundeshilfen wird der Strukturwandel nicht zu schaffen sein. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat erst kürzlich angedeutet, dass er sich einen Altschuldenfonds zur Entlastung klammer Kommunen vorstellen kann. Die Hilfen sollen allerdings an Eigenleistungen der Bundesländer geknüpft werden, so Scholz. Der gerade beschlossene Saarlandpakt könnte sich deshalb auch in dieser Hinsicht noch als segensreich erweisen.

Auf den Prüfstand gehört auch die defensive Haltung der Politik gegenüber der schleichenden Deindustrialisierung Deutschlands. Auch wenn traditionelle Ordnungsökonomen es nicht gern hören: Wir leben nicht in der Welt, die sie in ihren volkswirtschaftlichen Lehrbüchern verbreiten. Faktisch prägen vermachtete Märkte, industriepolitische Subventionen und zunehmender Protektionismus mehr denn je die global vernetzte Wirtschaft. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat in diesem Frühjahr mit seiner industriepolitischen Strategie wichtige Denkanstöße gegeben, wie darauf zu reagieren ist. Im Kern geht es darum, unsere pietistische Zurückhaltung aufzugeben, wenn Zukunftstechnologien definiert und bestehende Schlüsselbranchen gesichert werden sollen. Wohlgemerkt: Es geht um Branchen und nicht um einzelne Unternehmen. Dass die Stahlindustrie mit ihren vielfältigen Produkten, die in nahezu allen industriellen Wertschöpfungsprozessen gebraucht werden, eine solche Schlüsselindustrie ist, dürfte unbestritten sein. Manche sprechen ihr deshalb sogar Systemrelevanz zu. Das sollte in der gegenwärtigen Diskussion über die Zukunft der Stahlindustrie beherzigt werden. Für die Politik in der EU und im Bund kann das nur heißen: Grenzausgleichsabgaben auf Dumpingstahl einführen und Finanzierungshilfen für die Umstellung auf eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion gewähren. Denn Dekarbonisierung ist möglich, aber nur mit staatlicher Unterstützung und – nicht minder wichtig – der Sicherstellung eines umfassenden level-playing-fields für alle Anbieter.