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Wider die Blockaderepublik

Standpunkt
von Volker Giersch

01.01.2011

Das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ hat eine Diskussion angestoßen, die längst überfällig war: die Diskussion über ausufernde Genehmigungsverfahren und eine schwindende Akzeptanz für Großprojekte. Diese Debatte ist wichtig. Und sie muss offen geführt werden. Denn unser Land ist dabei, seine Zukunftsfähigkeit mehr und mehr zu verspielen. Ohne umfangreiche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in Stromtrassen oder in Kraftwerke wird es im internationalen Standortwettbewerb über kurz oder lang an Attraktivität verlieren.

Festmachen lässt sich das Problem vor allem an drei Sachverhalten:

Erstens sind die Genehmigungsdauern bei Großprojekten viel zu lang. Das verursacht für die Investoren immens hohe Vorlaufkosten und erschwert überdies ein verlässliches Investitionskalkül, weil sich das Marktumfeld und die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Zeiträumen von zehn und mehr Jahren oft erheblich ändern. Das Verfahren für Stuttgart 21 hat immerhin rund zwei Jahrzehnte gedauert.

Zweitens – und das hängt mit den langen Genehmigungsdauern zusammen – befassen sich weite Teile der Bevölkerung mit dem Für und Wider von Großprojekten erst dann, wenn die Bagger rollen. In Stuttgart etwa kam es zu den massiven Protesten erst mit Beginn der Bauarbeiten. Dabei wurden im Laufe des Verfahrens bereits über 20.000 Einsprüche behandelt und beschieden. Was leider fast regelmäßig fehlt, ist eine offensive Kommunikation, und zwar nicht nur am Anfang, sondern auch während des Genehmigungsverfahrens.

Drittens wächst die Einstellung des „nicht vor meiner Haustür“. Gegen Großprojekte formiert sich - auch wenn ihr gesamtwirtschaftlicher Nutzen unstrittig ist – vor Ort in den Standortgemeinden massiver Widerstand. So gibt es bundesweit einen breiten gesellschaftlichen Konsens für den Ausbau von Flughäfen, Verkehrswegen, Stromtrassen, Wind- und Solarparks - und gleichzeitig Widerstand und Protest an den dafür vorgesehenen Standorten. Das Kraftwerksprojekt in Ensdorf, das letztlich am Nein der Einwohner gescheitert ist, ist hierzulande ein prominentes Beispiel dafür.

Überlange Genehmigungsdauern…

Das gleiche Muster lässt sich in der gesamten Republik beobachten:
  • Die ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse in Niedersachsen, die von Hannover nach Bremen und Hamburg führen soll, verharrt seit fast zwei Jahrzehnten in der Planungsstarre - obwohl die neue y-förmige Strecke von nahezu allen Experten als unabdingbare Voraussetzung betrachtet wird, den wachsenden Güterverkehr der Nordseehäfen reibungslos bedienen zu können.
  • Im nordrhein-westfälischen Datteln droht die Fertigstellung von Europas größtem und modernstem Kohlekraftwerk zu scheitern. Der 180 Meter hohe Kühlturm steht bereits. Im nächsten Jahr sollte das neue Kraftwerk in Betrieb gehen, die alten Blöcke I bis III im Gegenzug stillgelegt werden. Von der Investitionssumme (insgesamt 1,2 Milliarden Euro) sind bereits mehr als drei Viertel verbaut. Für Umweltschützer ist das Projekt inzwischen zum Symbol für den Kampf gegen die Kohle geworden. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) klagte beim Oberverwaltungsgericht Münster, das den Bebauungsplan für unwirksam erklärte. Der neue grüne Umweltminister sieht das Kraftwerk schon vor dem endgültigen Aus. Der Rückbau könnte dann nochmals so viel Geld verschlingen wie bereits investiert wurde.
  • Zu erheblichen Verzögerungen kommt es beim Lückenschluss der A 33 bei Bielefeld. Hier ist der Artenschutz das Problem. Die „Neue Westfälische“ berichtet: „Zuerst war es der Kammmolch, der den Lückenschluss der A 33 über Jahre verzögerte. Kaum hatten die Planer die Trasse für ihn aufgeständert, war der Kammmolch unbekannt verzogen. Jetzt sind 31 Bechsteinfledermäuse just in dem Moment zugeflogen, da der letzte 135 Millionen teure Streckenabschnitt der A 33 zur Planfeststellung ansteht. Das ist ärgerlich, denn weitere Verzögerungen des Baubeginns sind unvermeidbar. Um die Planfeststellung gerichtsfest zu machen, ist ein Nachweis des Schutzes der Art notwendig. In den Wintermonaten lässt sich allerdings wenig über die möglichen Ausflugsgebiete der Tiere sagen, da sie in Schockstarre verharren.“

… mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten

All diese Beispiele werfen die Frage auf, ob wir uns weiterhin so langwierige und hochkomplexe Genehmigungsverfahren leisten können und wollen. Der Widersinn zeigt sich insbesondere beim dringend nötigen Ausbau der Stromtrassen und -netze. Denn klar ist, dass die Zielwerte für den mit großer Mehrheit gewollten Ausbau der erneuerbaren Energien nur dann zu erreichen sind, wenn wir die Stromnetze zügig erweitern und ertüchtigen. Nach der aktuellen Netzstudie der deutschen Energieagentur müssen bei Verwendung der etablierten 380-kV-Freileitungstechnik 3 600 Kilometer an Höchstspannungstrassen bis zum Jahr 2020 gebaut werden. Einschließlich des notwendigen Anschlusses der Offshore-Windparks betragen die geschätzten Kosten dafür rund zehn Milliarden Euro. Wegen zahlreicher Einsprüche und Klagen dauert die Realisierung von Netz-Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland derzeit bis zu zehn Jahre. Da steht Landschaftsschutz also letztlich im Konflikt zum Klimaschutz.

Diesen Konflikt gibt es auch beim Bau der Energieanlagen selbst. Gegen neue Windkraft- und Solaranlagen bildet sich in den Standortgemeinden fast überall massiver Widerstand. Ein aktuelles Beispiel aus unserem Land ist die Kontroverse um die geplanten Windräder am Wildpark in Weiskirchen.

Die Verhältnismäßigkeit wahren!

Keine Frage: Artenschutz, Naturschutz, Klimaschutz, Lärmschutz gehören zu den kulturellen Errungenschaften unserer Zivilisation und müssen deshalb angemessen Eingang finden in entsprechende Planfeststellungsverfahren. Aber inzwischen stehen sich die verschiedenen Umweltziele selbst gegenseitig im Weg. Folge ist, dass es durch jahrelange Verzögerungen oder das vollständige Scheitern von Projekten zu immensen volkswirtschaftlichen Kosten kommt. Hier stimmt – wie das Beispiel A 33 zeigt – die Verhältnismäßigkeit längst nicht mehr.

Längst stehen unsere Wettbewerbsfähigkeit und unser Wohlstand auf dem Spiel: In vielen anderen Ländern, die mit uns im Wettbewerb stehen, dauert es weit weniger lang, Standort prägende Großprojekte zu genehmigen und zu realisieren – beileibe nicht nur in den rasch wachsenden Schwellenländern Asiens, sondern auch in europäischen Volkswirtschaften wie Frankreich und Großbritannien oder in den USA.

Was ist zu tun? Zumindest dreierlei:

Erstens ist eingehend zu prüfen, wie sich die Dauer von Genehmigungsverfahren nachhaltig verkürzen lässt. Das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben aus dem Jahr 2006 war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Jetzt müssen weitere Schritte folgen.

Zweitens: Wir müssen über Instrumente und Verfahren nachdenken, wie sich zeitlich parallel zu den Genehmigungsverfahren die nötige Akzeptanz für Großprojekte und den Ausbau unserer Leitungs- und Verkehrsinfrastruktur erreichen lässt. Eine frühzeitige offensive und breit angelegte Information über Kosten und Nutzen ist dazu gewiss unerlässlich. Ob und in welchen Fällen Instrumente wie Volksentscheide hinzu kommen sollen, wird eingehend zu diskutieren sein. Plebiszite, die zu Beginn der Planungsphase zusätzliche demokratische Legitimation schaffen, dürften jedenfalls mit geringeren volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sein als eine nachgelagerte Grundsatzdiskussion, wie wir sie derzeit in Stuttgart erleben.

Die Befürworter von Volksentscheiden sollten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass Plebiszite gerade dort nicht weiterhelfen, wo sich die Probleme mit besonderer Dringlichkeit stellen: bei Projekten und Trassen von nationaler Bedeutung, gegen die sich vor Ort massiver Protest formiert. Denn wer soll in diesen Fällen abstimmen? Nur die Bürger der Standortgemeinde(n), weil sie besondere Lasten zu tragen haben? Das hieße de facto, den Bürgern der Standortgemeinde(n) ein Vetorecht einzuräumen. Stillstand in zentralen Zukunftsbereichen unseres Landes wäre die Folge. Oder sollen all jene mit abstimmen dürfen, die den Nutzen haben, also alle Bundesbürger? Das wäre angesichts der Vielzahl der Projekte kaum machbar.

Deshalb sollten wir drittens darüber nachdenken, welche weiteren Möglichkeiten und Wege es gibt, in den Standortgemeinden mehr Akzeptanz für Projekte mit nationaler Bedeutung zu schaffen. Volkswirten fällt da gemeinhin der Weg der Kompensation ein. Im Klartext: Der Staat oder ggf. die privaten Investoren gleichen betroffenen Bürgern oder Gemeinden finanziell oder durch gezielte Wohltaten aus, was durch die Projekte vor Ort an Nachteilen und Lasten entsteht. Doch solche Ausgleichsmaßnahmen – im Naturschutz längst eingeführt und hoch gelobt – gelten hierzulande im Interessenausgleich zwischen Individuen als anrüchig. Es gibt sie deshalb nur mehr oder weniger verdeckt im Einzelfall. Ob es stattdessen standardisierte Verfahren geben kann, ist eine spannende Frage, die bislang noch unbeantwortet ist.

Und so bleibt als Fazit: Das Problem ist vielschichtig, eine offene und konstruktive Diskussion dringend nötig. Entscheidend ist, dass am Ende tragfähige Lösungen stehen, die die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sichern helfen.