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50plus - An den Ursachen ansetzen, statt am Symptom

Von Volker Giersch
Kommentar

01.08.2006

Weniger als 40 Prozent der Menschen zwischen 50 und 65 sind heute in Deutschland noch in Arbeit. Die übrigen waren nie erwerbsfähig, sind vorzeitig in den Ruhestand gewechselt oder zählen zum großen Heer der Arbeitslosen. Fast ein Viertel der registrierten Arbeitslosen ist derzeit älter als 50 Jahre. Ihre Chancen, der Arbeitslosigkeit zu entrinnen, sind eher gering. Denn ältere Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt weitaus weniger gefragt als jüngere.

Diese Schieflage wird immer augenfälliger, ihre Beseitigung immer dringlicher; dies allein schon mit Blick auf die demografische Entwicklung und die künftige Finanzierbarkeit der sozialen Sicherung.

Mit seinem Programm „50plus“ hat der Bundesarbeitsminister kürzlich einen Lösungsansatz vorgelegt. Bis zu hunderttausend ältere Menschen sollen durch „Kombilöhne“ zusätzlich in Arbeit kommen. Bei insgesamt mehr als einer Million 50-Plus-Arbeitslosen ist das ein eher bescheidenes Ziel, wobei noch fraglich ist, ob es mit den vorgesehenen Zuschüssen auch nur annähernd erreichbar ist. Denn ähnliche Instrumente gab es bisher bereits – etwa Eingliederungshilfen. Noch gravierender ist, dass das Programm ebenso wie Vorläuferprogramme an den Symptomen statt an den Ursachen ansetzt.

Bei genauerem Hinsehen ist zwischen zwei Problembereichen mit jeweils unterschiedlichen Ursachen zu unterscheiden:

Niedrige Erwerbsbeteiligung durch Frühverrentung

Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen liegt mit 39 Prozent weit unter derjenigen wichtiger Konkurrenzländer wie etwa Großbritannien (56 Prozent), Portugal (51) oder Schweden und Norwegen (jeweils 69). Der Hauptgrund: Viele ältere Menschen wurden im Zuge einer jahrzehntelangen Frühverrentungspraxis mit massiver staatlicher Förderung in den vorzeitigen Ruhestand gelockt. Dies nach der Devise „Alt raus, Jung rein“ - eine Rechnung, die so nicht aufging, weil die frei gewordenen Arbeitsplätze oftmals gestrichen wurden. Das Volumen an Arbeit ging zurück, weil die Politik allzu sehr auf Umverteilung gesetzt hat, statt die Wachstumskräfte zu stärken und so zusätzliche Arbeit zu schaffen. So wurden die Älteren aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, ohne dass die Jüngeren davon profitieren konnten.

Hohe Arbeitslosigkeit durch rigiden Kündigungsschutz ...

Wer einvernehmlich in den Vorruhestand geht, wird wohl meist nicht mehr arbeiten wollen. Wer seinen Arbeitsplatz aber zwangsweise verloren hat und nun aktiv sucht, muss schmerzlich erfahren, was Ökonomen vorausgesagt hatten: Hohe Kündigungshürden wirken stets auch als Einstellungsbarrieren. Sie schützen ältere Arbeitnehmer zwar bedingt vor Entlassung. Doch sie mindern zugleich die Chancen derer, die arbeitslos werden, wieder in Arbeit zu kommen. Für den Kündigungsschutz für Ältere gilt damit wie für viele andere Sozialgesetze: Gute soziale Absicht, böse soziale Folge.

Die rot-grüne Bundesregierung hat das vor Jahren bereits erkannt. Sie hat deshalb die Möglichkeiten stark erweitert, ältere Arbeitnehmer befristet zu beschäftigen. Die über 52-Jährigen konnten seither über die nahezu beliebige Aneinanderreihung von Zeitverträgen quasi passgenau beschäftigt werden, und zwar ohne sachliche Begründung. Leider hat dieses durchaus taugliche Instrument einen fatalen Makel: Es ist - so hat es der EuGH erst kürzlich festgestellt - nicht vereinbar mit den Gleichbehandlungsgrundsätzen der EU. Die kuriose Begründung: Die Ausnahmeregelung für Ältere stelle nach Gemeinschaftsrecht eine unzulässige Diskriminierung des Alters dar. „Sachgrundlose Befristungen“ sind deshalb unwirksam.

So tritt jetzt ein, wovor viele Wirtschaftsorganisationen gewarnt hatten: Ältere Arbeitnehmer, die ohne Sachbegründung befristet eingestellt wurden, gelten jetzt als unbefristet beschäftigt – mit allen kündigungsschutzrechtlichen Konsequenzen, die das mit sich bringt. Das fördert die Neigung der Wirtschaft nicht gerade, ältere Menschen künftig vermehrt einzustellen.

... und durch höhere Arbeitskosten

Als gewichtiges Hemmnis für die Beschäftigung und insbesondere die Neueinstellung älterer Arbeitnehmer wirken sich zudem auch die sogenannten tariflichen Senioritätsprivilegien aus: Viele Tarifverträge enthalten nach wie vor altersabhängige Entgeltbestandteile, die die Arbeitskosten mit fortschreitendem Alter oder längerer Betriebszugehörigkeit steigen lassen. Vielfach koppeln sich deshalb die Arbeitskosten Älterer von deren Produktivität ab.

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Es ist keineswegs so, dass die Leistungsfähigkeit in späteren Phasen des Berufslebens generell abnimmt. Zwar bringt ein höheres Lebensalter in aller Regel eine Minderung des körperlichen Leistungsvermögens und der theorieorientierten Lernfähigkeit mit sich. Doch stehen dem ein Zuwachs an Erfahrungswissen oder auch Führungskompetenz gegenüber. Wie der Saldo ausfällt, ist von Tätigkeit zu Tätigkeit verschieden.

Gesamtstrategie nötig

Deshalb bleibt es dabei: Die Ursachen für die geringe Erwerbsbeteiligung und die hohe Arbeitslosigkeit der Älteren liegen nicht in einer nachlassenden Leistungskraft, sondern in den sozial- und tarifpolitischen Rahmenbedingungen. Hier muss deshalb auch die Therapie ansetzen. Notwendig ist eine konsistente Gesamtstrategie, die vor allem folgende Elemente enthalten muss:

Wachstumskräfte stärken, Beschäftigung erhöhen

Entscheidend ist es zunächst, die Wachstumskräfte in Deutschland nachhaltig zu stärken. Denn es gilt: Je stärker die Wachstumskräfte, desto höher das Beschäftigungsniveau und desto besser auch die Arbeitsmarktchancen für ältere Menschen. Deshalb brauchen wir eine wirtschaftsfreundliche Steuer-, Sozial- und Tarifpolitik.

Frühverrentungsanreize beseitigen

Wir brauchen in Deutschland möglichst rasch einen Kurswechsel von der Frühverrentung hin zu längeren Lebensarbeitszeiten. Dazu gilt es,

  • die sogenannten Vorruhestandsregelungen schnellst möglich abzuschaffen,
  • die Zuschläge zum ALG II, die im Anschluss an das Arbeitslosengeld für weitere zwei Jahre gewährt werden, zurückzuführen sowie
  • die Förderung der Altersteilzeit Ende 2009 endgültig auslaufen zu lassen.
In die richtige Richtung zielt auch der Beschluss der Bundesregierung, das gesetzliche Rentenzugangsalter schrittweise auf 67 Jahre anzuheben. Dazu gehört dann freilich auch, die Abschläge bei vorzeitigem Rentenbezug auf den versicherungsmathematisch korrekten Wert zu erhöhen: von derzeit 0,3 auf künftig 0,5 Prozent pro Monat.

Befristete Beschäftigung EU-kompatibel gestalten

Die Bundesregierung sollte möglichst rasch nach einem Weg suchen, die Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung Älterer „ diskriminierungsfrei“ zu gestalten. Sie könnte etwa die Zulässigkeit der sachgrundlosen Befristung statt am Alter an der Dauer der Arbeitslosigkeit festmachen.

Zudem gilt es, den Kündigungsschutz deutlich zu lockern. Denn nur so lässt sich die Problemgruppenarbeitslosigkeit nachhaltig reduzieren. Internationale Untersuchungen zeigen, dass Länder mit einem liberaleren Kündigungsschutz deutlich weniger Langzeitarbeitslose haben.

Senioritätsprivilegien abschaffen

Soweit es in den Tarifverträgen noch Senioritätsprivilegien gibt, sind diese möglichst ganz zu beseitigen. Die Metall- und Elektroindustrie ist hier mit dem neuen Entgeltrahmenabkommen mit gutem Beispiel vorangegangen – im Interesse der älteren Arbeitnehmer. Denn gleichberechtigte Chancen für diese Gruppe lassen sich auf Dauer nur erreichen, wenn die Arbeitskosten jeweils mit der Leistungsfähigkeit korrespondieren. Das erfordert eine Abkehr von starren Regelungen und ein noch höheres Maß an Flexibilität in den Entgeltstrukturen.

Qualifikation durch Weiterbildung verbessern

Die älteren Arbeitnehmer stehen aber auch selbst in der Verantwortung. Sie sollten ihre fachliche Qualifikation regelmäßig überprüfen und auf den neuesten Stand bringen. Gegenwärtig nutzen gerade Ältere die Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung nur unterdurchschnittlich: Nur 17 Prozent der 50- bis 64-Jährigen nehmen entsprechende Qualifizierungsangebote wahr. Für die Gruppe der 35- bis 49-Jährigen liegt die Quote mit 31 Prozent weit darüber.

Und hier liegt auch der Beitrag der IHKs: Sie wollen mit ihren Weiterbildungsangeboten künftig einen noch stärkeren Beitrag zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer leisten.