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Das saarländische Ernährungsgewerbe – Seit Jahrzehnten eine stabile Stütze für Konjunktur und Beschäftigung

Insgesamt und als Ganzes betrachtet, ist das saarländische Ernährungsgewerbe eine auffallend „konstante Größe“ der Saarwirtschaft: Seit mehr als einem halben Jahrhundert liegt die Zahl seiner Beschäftigten ohne große Schwankungen bei etwa 8.000. Der Anteil an allen Industriebeschäftigten ist im Laufe der Jahrzehnte sogar leicht gestiegen – von sechseinhalb auf fast acht Prozent. Diese Stabilität erscheint besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund der tief greifenden Veränderungen, die andere Branchen in dieser Zeit erfahren haben. Im gleichen Zeitraum gingen im Bergbau über 50.000 Arbeitsplätze verloren, in der Stahlindustrie mehr als 30.000. Gleichzeitig entstand mit dem Fahrzeugbau praktisch „aus dem Nichts“ eine gänzlich neue Branche, die heute – Zulieferer eingeschlossen – weit über 40.000 Menschen beschäftigt.

Solche erratischen Veränderungen hat es in der Lebensmittelbranche nicht gegeben. Allerdings: Unter der scheinbar ruhigen Oberfläche hat sich dort in den vergangenen Jahrzehnten ein gewaltiger Strukturwandel vollzogen. Damit verbunden waren schmerzliche Anpassungsprozesse – so etwa das „Mühlensterben“ Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre, das schrittweise Verschwinden der saarländischen Molkereien, das mit der Fusion von Saarland Milch mit der Hochwald-Gruppe Thalfang Anfang der 90er Jahre besiegelt wurde und – nicht zu vergessen – das „Brauereisterben“ der 80er und 90er Jahre, das auch viele sehr traditionsreiche saarländische Biermarken vom Markt verschwinden ließ. Andererseits konnten die Unternehmen, die frühzeitig auf die richtige Strategie gesetzt hatten, von den Veränderungen profitieren, zusätzliche Kunden gewinnen und sich neue Geschäftsfelder erschließen. Neugründungen mit neuen Geschäftsideen kamen hinzu und wuchsen. Chancen der Internationalisierung wurden genutzt und brachten weitere Wachstumsimpulse.
Treiber des Strukturwandels in der Ernährungswirtschaft waren vor allem drei Faktoren:
  • ein langfristig sinkender Anteil der Ausgaben für Ernährung an den Gesamtausgaben: Heute geben die Verbraucher nur noch etwa ein Zehntel ihres Einkommens für Lebensmittel aus – vor drei Jahrzehnten war dieser Anteil noch doppelt so hoch,
  • eine zunehmend industrialisierte Produktion, die erhebliche Rationalisierungen ermöglichte und zugleich den Trend zu größeren Einheiten und einer zunehmenden Internationalisierung verstärkte,
  • eine spürbare Veränderung der Ernährungsgewohnheiten, die vor allem zwei Richtungen hatte, die sich mit „schlank, gesund, natürlich“ und „schnell, einfacher, länger haltbar“ charakterisieren lassen.
Es ist bemerkenswert, wie flexibel und erfolgreich sich die bis heute stark mittelständisch geprägte Branche auf diese veränderten Marktbedingungen und Verbraucherwünsche eingestellt hat.

Kleine und mittelgroße Unternehmen dominieren

Nach den aktuellsten amtlichen Zahlen beschäftigte das saarländische Ernährungsgewerbe zuletzt 8.204 Menschen in 82 Betrieben und erzielte einen Umsatz von fast 1,8 Milliarden Euro (vgl. Tabelle). Nicht berücksichtigt sind darin Kleinbetriebe mit weniger als 20 Beschäftigten, wohl aber die größeren Betriebe des Lebensmittelhandwerks – in der Regel also filialisierte Bäckereien, Metzgereien und Konditoreien. Auf Letztere entfallen in dieser Statistik nahezu die Hälfte der Betriebe und fast ein Drittel der Beschäftigten. Wirklich große Betriebe bilden die Ausnahme. Nur zwei der 82 saarländischen Betriebe beschäftigen mehr als 1.000 Mitarbeiter, zwei weitere liegen bei etwa 500 Beschäftigten. Zusammengenommen zählt das saarländische Ernährungsgewerbe elf Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten, die etwa zwei Drittel aller Arbeitsplätze in dieser Branche stellen.

Ernährungsgewerbe im Saarland im Jahr 2012
Betriebe Beschäftigte Entgelte (1.000 €) Umsatz (1.000) Auslandsumsatz (1.000 €) Exportquote Prozent
Ernährungsgewerbe insgesamt 82 8.204 193.824 1.790.978 436.256 24,4
Anteil am Verarbeit. Gewerbe 10,8 7,8 5 6,6 3,3
Veränd. z. Vorjahr in v. H. -1,2 -0,1 1,4 5,8 9,7
Quelle: Statistisches Landesamt Saarland
Mit derzeit rund 1.400 Beschäftigten größtes Einzelunternehmen und eine Erfolgsgeschichte der besonderen Art ist die Nestlé Wagner GmbH in Nonnweiler. Das Unternehmen wurde 1969 durch den Bäckermeister Ernst Wagner gegründet und ist auf die Produktion von Tiefkühl-Pizzen für den Lebensmitteleinzelhandel spezialisiert. Der Durchbruch gelang 1985 mit der Erfindung des ersten industriellen Steinbackofens und der Einführung der „Original Wagner-Steinofen-Pizza“. Die Nestlé Wagner GmbH gehört in ihrem spezialisierten Segment mittlerweile zu den Marktführern in Deutschland und ist mit ihren Produkten auch in vielen europäischen Ländern vertreten. Da der Markt für Tiefkühlkost und andere Convenience-Produkte weiter wächst, hat das Unternehmen gute Chancen, seinen Erfolgskurs fortzusetzen.
Die Ludwig Schokolade GmbH & Co. KG beschäftigt an den Hauptstandorten Saarlouis und Saarwellingen im Jahresmittel etwa 1.200 Mitarbeiter. Zur Produktpalette gehören Tafelschokoladen, Pralinen, Riegel und Saisonarktikel. Bekannt sind besonders die Traditionsmarken Trumpf, MAUXION und FRITT. Das Unternehmen ist zudem Europas größter Eigenmarken-Produzent von Schokoriegeln. Gut die Hälfte der gesamten Produktion geht in den Export. Mit erheblichen Investitionen in Produktionsanlagen und Logistik hat das Unternehmen in den letzten Jahren seinen Standort im Saarland gesichert.

Mühlen und mehr ...

Zu den wohl ältesten Formen mechanisierter Lebensmittelaufbereitung gehört das Müllerhandwerk. Aus diesem Traditionsgewerbe entstand ein Segment der Lebensmittelindustrie, dessen breites Produktportfolio sich am ehesten mit „Grundstoffe für die Lebensmittelproduktion“ zusammenfassen lässt. Neben dem klassischen Produkt Mehl gehören dazu längst Backmischungen, Cerealien, Fettaufbereitungen für die industrielle Weiterverarbeitung, Nahrungsergänzungsmittel und verwandte Produkte. Mit rund 270 Mitarbeitern und vier Einzelunternehmen (Bliesmühle, Frank Juchem, Juchem Food Ingredients, Megro) ist die Juchem Gruppe Eppelborn das größte Saar-Unternehmen in diesem Segment. Eine Spezialität sind die nach dem patentierten Frijet-Verfahren hergestellten Flüssigfette und Emulgatoren; zur Palette gehören aber auch Cerealien sowie innovative Backmischungen für Industrie und Endverbraucher („Echte Männer“ und „QKies“ – digitale Kekse).
Die Abel & Schäfer GmbH & Co. KG beschäftigt derzeit im Saarland 110 Mitarbeiter, kommt aber mit Werken und Niederlassungen in ganz Europa und den USA auf weltweit rund 650 Beschäftigte. Produziert werden neben Backmischungen und Backgrundstoffen auch Convenience- und TK-Produkte.
Auf ebenfalls 110 Beschäftigte im Saarland bringt es inzwischen das noch jüngste Unternehmen in diesem Segment, die Nordgetreide GmbH & Co. KH in Überherrn, die sich ganz auf die Herstellung von Cerealien spezialisiert hat: Frühstücks-Flockenprodukte aus Mais Weizen und Reis stehen auf dem Programm. Der Exportanteil liegt bei 50 Prozent. Ein großer Teil davon geht unmittelbar in den benachbarten französischen Markt.


Wasser statt Bier

Traditionsreicher Kern der saarländischen Getränkehersteller sind die Brauereien: Als Industrieland war das Saarland über mehr als 150 Jahre lang ein klassisches „Bierland“. Inzwischen gibt es im Saarland nur noch drei industrielle Brauereien; die älteste von ihnen wurde bereits im Jahre 1702 gegründet. In der saarländischen Getränkeindustrie beschäftigt sich heute mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer nicht mehr mit dem Brauen von Bier, sondern mit dem Abfüllen von Mineralwasser und Fruchtgetränken oder bietet Serviceleistungen für ihre Gastronomiekunden an. Das gilt auch für den Karlsberg Verbund als größtem Unternehmen: Weniger als ein Viertel der insgesamt 1.700 Mitarbeiter gehören noch zur Karlsberg Brauerei, der eigentlichen Keimzelle des Unternehmens. Überregional hat sich Karlsberg vor allem mit dem Produkt MiXery den Ruf eines Marktinnovators erworben und ein neues Segment auf dem Biermarkt erschlossen. Mit neuen Produkten wie „Desperados“ und „Gründel’s fresh“ gibt es für trendbewusste Jugendliche ebenso wie für die Gesundheitsbewussten aller Altersgruppen das passende Angebot. Durch Neuerwerbungen und Umstrukturierungen gehört Karlsberg mittlerweile zu den bedeutenden überregionalen Playern im Mineralwasser-, Erfrischungsgetränke- und Fruchtsaftgeschäft. Marken wie Überkinger, Teinacher, Vaihinger und Merziger stehen dabei für hohe Qualität und das obere Marktsegment.
Mit über 300 Jahren Geschichte ist die Brauerei G. A. Bruch das älteste und traditionsreichste Unternehmen seiner Art im Saarland. Das Unternehmen konzentriert sich auf den regionalen Absatz und besitzt mit dem „Stiefelbräu“ im Zentrum der Landeshauptstadt auch ein eigenes Braugasthaus. Mit den Spezialitäten „Zwickel“, „Landbier“ und „Perlbière“ konnte sich das Unternehmen in seinem angestammten Markt gut behaupten. Dies gilt auch für die Großwaldbrauerei Bauer GmbH und Co. KG in Heusweiler, die in ihrem Einzugsbereich ebenfalls sehr erfolgreich ist und neben verschiedenen Biersorten auch Mineralwasser und Erfrischungsgetränke anbietet. Zusammen beschäftigen die beiden kleineren Brauereien heute rund 70 Mitarbeiter.
Die Kirkeler Erfrischungsgetränke GmbH (130 Beschäftigte) und die Gesundbrunnen Bad Rilchingen GmbH & Co. KG (30 Beschäftigte) profitieren beide vom anhaltenden Trend zum Mineralwasser. Mit 90 Jahren schon ein Traditionsbetrieb ist die Eckert‘s Wacholder Brennerei GmbH in Tholey, die sich mit einem breiten Sortiment an Spirituosen mittlerweile fast ein Jahrhundert lang im Markt behauptet.

Mehr als Lyoner

Für viele gehört sie zum Saarland wie die Weißwurst zu Bayern: die Lyoner. Fast alle saarländischen Fleischwarenhersteller haben dieses "Symbolprodukt" ganzjährig im Angebot, ebenso wie "Schwenker" und Grillwürste in den Sommermonaten. Aber auch weit darüber hinaus ist das Angebot vielfältig und nahezu vollständig. Es reicht von Frischfleisch bis zu Schinken und anderen Räucherspezialitäten, von Koch- und Brühwürsten bis zu Pasteten und Convenience-Produkten.
Fast 1.800 Menschen sind im Saarland mit der Herstellung und dem Verkauf von Fleischwaren beschäftigt. Größte Unternehmen mit je 500 Mitarbeitern sind die Schröder Fleischwarenfabrik GmbH und Co. KG in Saarbrücken und die Kunzler Fleischwarenfabrik GmbH und Co. KG in Überherrn. Jeweils etwa 200 Mitarbeiter arbeiten bei der Schwamm & Cie. GmbH und der Höll Feine Fleisch- und Wurstwaren GmbH, die beide in der Landeshauptstadt ihren Sitz haben. Die Mehrzahl der Unternehmen ist auch überregional gut im Markt vertreten. Saarländische Fleisch- und Wurstwaren gehen vor allem nach Süd- und Ostdeutschland, nach Frankreich und in die Beneluxländer; der Exportanteil der Branche liegt bei gut 15 Prozent.
Eng mit der Fleischwarenindustrie verbunden sind die saarländischen Gewürzhersteller. Allein die vier größten Unternehmen beschäftigen zusammen rund 300 Mitarbeiter. Sie liefern und produzieren alles, was ihre Kunden für ihre Fertigprodukte brauchen: Gewürzmischungen und -zubereitungen, Würzöle, Würzsaucen, Zusatzstoffe für die Lebensmittelproduktion, bis hin zu fertigen Grillsaucen und Salatdressings für Gastronomie und Endverbraucher. Größte Unternehmen sind die Scheid AG & Co. KG in Überherrn und die Rosemarie Eppers  e.K. in Saarbrücken mit jeweils über 100 Beschäftigten. Ferner zu nennen wären die Bard Metzgereiprodukte GmbH, die Flavex Naturextrakte GmbH sowie die Gewürzfabrik Carla.
Zu guter Letzt ergänzen Brot und Brezeln das breite Angebot der saarländischen Lebensmittelhersteller. Größte und bekannteste Unternehmen in diesem Segment sind Brezel Ecker in Homburg und die Bär Brot GmbH in Bexbach mit 120 bzw. 80 Beschäftigten.


Mit Zuversicht ins kommende Jahr

Die Aussichten auf ein Anziehen der Konjunktur sind gut: Der IHK-Klimaindex für das Saarland ist zum dritten Mal in Folge gestiegen, der Lageindex hat schon wieder das Niveau vom Frühjahr 2012 erreicht. Noch stützt sich der gestiegene Optimismus der Unternehmen vorwiegend auf den Export. Das deutliche Plus beim Auslandsumsatz, das die Ernährungsbranche im vergangenen Jahr erzielen konnte, stimmt jedenfalls zuversichtlich.
Auch die Binnenkonjunktur entwickelt sich dank der stabilen Arbeitsmarktlage robust. Vor diesem Hintergrund hat das Ernährungsgewerbe beste Aussichten, weiterhin eine verlässliche Stütze der Saarwirtschaft zu bleiben, auch wenn der Strukturwandel weiter geht und der Druck auf die Margen unvermindert anhalten wird.