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Den Kindern Flügel verleihen

Von Volker Giersch
Kommentar

01.05.2005

„Lehrer sein heißt, Kindern Flügel verleihen“ – so beschreibt eine Vision*) des DIHK die Arbeit deutscher Lehrer im Jahre 2015. Am Arbeitsplatz Schule, so die Vision, arbeiten dann Fachleute für das Lernen, die je nach Aufgabe unterschiedlich qualifiziert sind. Das klassische Berufsbild des „Lehrers“, der für alle in der Schule anfallenden Aufgaben – von der Organisation der Klassenfahrt bis zur Koordination der Fachbereichskollegen – verantwortlich ist, existiert nicht mehr. In und um den Arbeitsplatz Schule sind neben Lehrern für Grundschulen und weiterführende Schulen, neben Berufsschullehrern und Förderlehrern auch Beratungslehrer, Schulmanager, Vorschullehrer und Schulsozialarbeiter beschäftigt.

Auch die Schulen selbst haben sich grundlegend gewandelt. Sie verfügen über ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Eigenverantwortung. Sie stellen Lehrer ihrer Wahl ein und entlohnen sie leistungsgerecht. Sie entscheiden darüber, welchen Fächerkanon sie jenseits der Kernfächer anbieten und mit welchen pädagogischen Konzepten sie ihren Schülern Fähigkeiten, Wissen und Können vermitteln. Sie bieten ganz überwiegend eine Ganztagsbetreuung an – mit Stützkursen für schwächere Schüler und Förderkursen für besonders Begabte. Und sie entscheiden über die Gestaltung ihrer Budgets – darüber etwa, wie viel sie für Gebäude, Einrichtungen, technische Hilfsmittel und Personal ausgeben. Kurzum: Die Schulen verfügen über ähnliche Freiräume wie mittelständische Unternehmen. Da es auch für die Grundschulen keine Schulbezirksgrenzen mehr gibt, können die Eltern die Schule für ihre Kinder frei wählen. Flächendeckende Leistungstests sorgen für die nötige Transparenz. Ergebnis ist ein schöpferischer Wettbewerb zwischen den Schulen, der Differenzierung und Qualität bringt.

Dieses Zukunftsbild darf keine Vision bleiben. Es sollte Realität werden – auch und gerade im Saarland. Wenn wir bei den nötigen Reformen an der Spitze der Länder mitmarschieren, kommt das nicht nur unseren Kindern, sondern auch der Attraktivität unseres Landes als Wirtschaftsstandort zugute. Auf entsprechende Empfehlungen hat sich unsere IHK-Vollversammlung erst kürzlich nochmals verständigt. Die wichtigsten Stichworte heißen:

Mehr Schulautonomie

Wir müssen die Schulen in Sinne der Vision Zug um Zug in die Freiheit entlassen. Die Landesregierung hat Schritte hin zu mehr Schulautonomie bereits angekündigt. Je rascher sie auf diesem Weg voranschreitet, desto besser.

Lernen schon im Kindergarten

Wir müssen spätestens im dritten Kindergartenjahr damit beginnen, vorschulische Inhalte zu vermitteln. So können die Kinder spielerisch und ohne Druck frühzeitig auf den neuen Lebensabschnitt Schule vorbereitet werden. Es ist gut, dass die Landesregierung diesen Weg jetzt gehen will. Konsequent wäre es, dieses Vorschuljahr dann auch für alle Kinder verpflichtend zu machen. Mit der Übernahme der Elternbeiträge durch das Land ist der erste Schritt dazu bereits getan.

Frühere Einschulung

Auch in der Schule selbst muss das Lernen früher beginnen. In kaum einem anderen Land werden die Kinder so spät eingeschult wie in Deutschland. Die Landesregierung sollte das Einschulungsalter deshalb Schritt für Schritt senken.

Förderung „sprachferner“ Schüler

Ein wachsender Anteil unserer Schüler beherrscht die Muttersprache nicht ausreichend. Die gleiche Erfahrung machen auch unsere Ausbildungsbetriebe. Da das Beherrschen der Sprache eine elementare Voraussetzung für das Erlernen aller weiterer Wissensinhalte ist, müssen diese Defizite möglichst frühzeitig behoben werden – in „Sprachlernklassen“ etwa, die bereits im Kindergarten beginnen und in den Grundschulen fortgesetzt werden.

Mehr Chancengerechtigkeit durch Ganztagsbetreuung

Wir brauchen vermehrt Ganztagsangebote, die darauf zielen, die Schwachen zu fördern und die Starken zu fordern. Das ist nicht nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit. Wir verschenken auch wichtiges Potenzial, wenn wir es nicht tun. Der Schwerpunkt muss bei der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen liegen. Dazu brauchen wir Lehrer und Pädagogen. Die Finanzierung sollte aus Mitteln erfolgen, die wir aufgrund der Demographie im Grundschulbereich einsparen können. Lehrerstudium dual anlegen

Zu alldem muss eine Reform der Lehrerausbildung hinzukommen – nicht als das wichtigste, aber als ein notwendiges Element der Reformagenda. Denn die Herausforderungen, vor denen die Lehrer heute stehen, sind größer denn je: Immer mehr Migrantenkinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse, immer mehr Kinder mit Erziehungsdefiziten oder mit Konzentrationsschwäche aus übermäßigem Fernseh- und PC-Konsum kommen in unsere Schulen.

Weil wir diesen Befund kurzfristig nicht ändern können, müssen Schulen und Lehrer zusätzliche Erziehungsverantwortung übernehmen. Sie müssen – wohl oder übel – das leisten, was die Eltern heute weniger leisten können oder wollen. Dafür müssen wir die Lehrer bestmöglich rüsten. Wir müssen sie in die Lage versetzen, verstärkt Werte, Tugenden und soziale Kompetenzen zu vermitteln. Dreierlei scheint dazu wichtig:

Erstens sollte die Ausbildung der Lehrer auf die Arbeit mit Kindern einer bestimmten Altersgruppe zugeschnitten sein. Denn mit unterschiedlichem Alter sind auch unterschiedliche Entwicklungsstufen verbunden. Zweitens sollte das Studium dual angelegt sein, also in enger Kooperation zwischen der Hochschule und der ausbildenden Schule erfolgen. Lehrer sollten künftig von Beginn ihres Studiums an einmal pro Woche in der Schule lernen und arbeiten und so frühzeitig die Schulwirklichkeit kennen lernen. Drittens sollten neben dem Fachwissen stärker als bisher auch die Methoden und Instrumente der Vermittlung von Wissen und Können eingeübt werden.

Bildungspolitik ist Wachstumspolitik

Keine Frage: Die Bildungspolitik zeigt in unserem Land bereits in die richtige Richtung, die Qualitätsoffensive trägt erste Früchte. So ist der Anteil der Jugendlichen ohne Schulabschluss gegenüber den Vorjahren deutlich zurückgegangen – von knapp zehn Prozent auf gut fünf Prozent.

Weitere Forschritte sind allerdings nötig, wenn wir im Wettbewerb der Regionen weiter an Boden gewinnen wollen. Denn Bildungspolitik ist im Kern Wachstumspolitik. Sie entscheidet maßgeblich darüber, in welcher Qualität und Quantität der Rohstoff „Wissen und Können“ in unserer Gesellschaft verfügbar ist. Insofern gilt: Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beginnt im Klassenzimmer. Geben wir den Lehrern dort möglichst gute Chancen, unseren Kindern Flügel zu verleihen.

Das DIHK-Reformkonzept ' Lehrer sein heißt Kindern Flügel zu verleihen“ steht zum Download bereit.
Sie kann aber auch als Broschüre angefordert werden (Tel.: 06 81 – 95 20-102).