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Die Erfolgsformel

Kommentar

01.01.2005

Die Strukturen in unserer Wirtschaft wandeln sich schneller denn je. Länder wie China, Indien und Russland gewinnen rapide Anteile auf dem Weltmarkt. Die EU-Beitrittsländer verschärfen den Wettbewerb auch innerhalb Europas. In hochentwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland kommt es zu tiefgreifenden Anpassungsprozessen – vor allem in der Industrie. Und auch innerhalb der Branchen stehen die Zeichen auf Wandel: Die Konzentration schreitet unaufhaltsam fort.

Der Strukturwandel ist komplex und hat viele Dimensionen. Und dennoch lassen sich die Gewinner und Verlierer relativ verlässlich voraussagen. Relativ deutlich kristallisieren sich zwei Erfolgsmodelle heraus: Erstens sind es große Unternehmen, die es verstehen, die Vorteile der Kleinheit zu nutzen – Unternehmen, die dezentrale Entscheidungsstrukturen aufweisen, Verantwortung und Entscheidungskompetenz auf Profit Center, Cost Center oder Teams delegieren und durch intelligente Organisation für ein reibungsloses Zusammenspiel dieser kleinen Einheiten sorgen. So machen sich diese Unternehmen die Tugenden der Kleinen zu eigen und werden flink, flexibel und findig wie diese.

Der zweite Erfolgstyp sind kleine und mittlere Unternehmen, die es verstehen, sich Vorteile der Größe zu erschließen. Sie tun dies, indem sie Kooperationen eingehen und all jene Aufgaben auf gemeinsame Einrichtungen übertragen, die sich von größeren Einheiten günstiger und besser bewältigen lassen. Durch gemeinsames Marketing prägen sie „Marken“; durch gemeinsamen Einkauf sparen sie Kosten. Verbünde wie „Red Zack“ und „Markant“ oder „Garant“ organisieren sich nach diesem Muster.

Individualkraft plus Systempower

Beiden Modellen ist eines gemein: Sie vereinen auf intelligente Weise die Vorteile der Kleinheit mit denen der Größe. Sie setzen auf die Innovationskraft, Vor-Ort-Kompetenz und Flexibilität kleiner Einheiten und fügen Systempower hinzu.

Idealtypisch zum Tragen kommt dieses Erfolgsrezept beim Franchising. Der Franchise-Geber organisiert den Verbund und erschließt die Vorteile der Größe. Die Franchise-Nehmer bringen vor Ort die Flexibilität und Dynamik des selbständigen Unternehmers ein. Der Markterfolg dieses Systems ist eindrucksvoll. In Deutschland gibt es bereits 830 Franchisegeber, die mit 43.000 Franchisepartnern und 390.000 Beschäftigten einen Umsatz von mehr als 25 Milliarden Euro erwirtschaften. Das Zusammenspiel von Individualkraft und Systempower sorgt seit Jahren bereits für zweistellige Wachstumsraten.

Auch die IHK-Organisation nutzt diese Vorteile. Die einzelne IHK engagiert sich als kompetenter Dienstleister vor Ort. Der DIHK und das weltweite Netz der Auslandshandelskammern fügen die Systempower hinzu. Im Inneren setzen die IHKs zunehmend auf dezentrale Organisation. Unsere IHK etwa bei IHK Regional. Hier gibt es für jeden Kreis einen eigenen Verantwortlichen mit einem eigenen Budget und mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung und Entscheidungskompetenz. Die Regionalverantwortlichen verhalten sich – innerhalb des Systems IHK – wie eigenständige Dienstleistungsunternehmer. Sie sind kreativ, motiviert und engagiert.

Mehr Freiheit wagen

Weithin missachtet wird die Erfolgsformel bislang noch im gesamten öffentlichen Bereich. Beispiel Schulen und Bildungswesen. Dass Deutschland hier in internationalen Vergleichen alles andere als gut abschneidet, hat keineswegs nur etwas mit Geld zu tun. Es liegt ganz entscheidend auch an grundlegenden Mängeln im System: Die hierarchisch strukturierte Kultusbürokratie plant, finanziert, denkt und lenkt. Die Einheiten an der Basis – die Schulen – haben kaum eigenen Gestaltungsraum. Innovation von unten ist weder erwünscht noch möglich. Auf einem Wettbewerbsmarkt hätte ein solches System zentral gelenkter Planwirtschaft keinerlei Überlebenschance.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass die Bundesländer den Schulen künftig größere Handlungsspielräume übertragen wollen. „ Schulen in Deutschland sind verwaltete Schulen“, sagte Ministerpräsident Peter Müller in seiner Regierungserklärung. „ Ihnen fehlt weitgehend die notwendige Freiheit, um eigenes Profil und eine eigene Identität aufzubauen. Deshalb wollen wir den Schulen ein Mehr an Freiheit geben.“ Den Worten sollten jetzt rasch Taten folgen. Dann und nur dann können wir bei PISA nach vorne kommen.

Dynamik durch Markt und Wettbewerb

Auch für eine Volkswirtschaft im Ganzen gilt: Je stärker sie auf die Gestaltungskraft der Einzelnen – also der Bürger und Unternehmen - setzt, desto größer sind Innovationskraft und Dynamik. Das zeigen internationale Studien sehr anschaulich. Eine Volkswirtschaft ist insofern vergleichbar mit einem großen Unternehmen. Sie schneidet im Wettbewerb umso besser ab, je stärker sie auf dezentrale Entscheidungsprozesse setzt. Die Erfolgsformel heißt hier: Soviel Staat wie nötig, soviel Markt und Wettbewerb wie möglich. Der Staat muss so schlank werden wie die Führungsebene erfolgreicher Unternehmen. Er muss sich auf seine Kernkompetenzen beschränken – insbesondere darauf, hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen, Infrastrukturen bereitzustellen und die Einhaltung von Spielregeln zu überwachen. Und er muss möglichst viel Freiraum lassen für das Spiel der Kräfte im Wettbewerb. Der sorgt dann für die Dynamik des Systems im Ganzen.

Alle Erfahrung zeigt, dass keine noch so kompetente Zentralinstanz auch nur annähernd so intelligent und erfolgreich zu lenken vermag wie die unsichtbare Hand des Marktes. Mit einer Staatsquote von rund 50 Prozent und einer rekordverdächtigen Regulierungsdichte hat Deutschland deshalb noch beträchtliches Potenzial, um bei Wachstumsdynamik und Innovationskraft zuzulegen. Wenn wir dieses Potenzial rasch und beherzt nutzen, werden wir bald wieder zu den Gewinnern des weltweiten Strukturwandels zählen.