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Einzelhandel im Tal der Tränen

Von Carl Jakob, Vizepräsident IHK Saarland Kolumne

01.02.2003

Das Szenario, in dem der Einzelhandel sich heute bewegt, wird geprägt von Umsatz- und Ertragseinbrüchen, wie wir sie je kaum erlebt haben. Das zu Ende gegangene Jahr wird wohl als eines der schwärzesten Jahre der Nachkriegsgeschichte dem Einzelhandel in Erinnerung bleiben. Wir haben es mit heftigen Umsatzeinbrüchen zu tun. Zweistellige Umsatzeinbrüche sind keine Seltenheit. Die Verbraucher geben weniger aus, auch weil die frei verfügbaren Einkommen merklich schrumpfen.

Und die Kaufzurückhaltung der Verbraucher bleibt erschreckend hoch, wie es das so genannte Weihnachtsgeschäft und auch die Umsätze der ersten Wochen des neuen Jahres zeigen. Zu groß ist die Angst um den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes und das Bewusstsein in den Sog der Arbeitslosigkeit gezogen zu werden. Und statt den Arbeitsmarkt entschlossen zu flexibilisieren, wird zwar mit der von der Wirtschaft verlangten Liberalisierung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen möglicherweise der Konsummotor langsam angeworfen, aber der große Wurf zu dem dringend notwendigen Abbau der Arbeitslosigkeit ist damit noch lange nicht gelungen.

Die Stimmung ist auf dem Tiefstpunkt und wird nicht einmal durch den kleinsten Fingerzeig der Bundesregierung aufgehellt. Die geplante Änderung des Ladenschlussgesetzes mag zwar publikumswirksam sein, aber der Konsum wird damit kaum belebt. Umverteilung der Umsätze wird die Folge sein und die Geschäfte in den weniger attraktiven Standorten vor noch größere Probleme stellen. Die Änderung hin zu wirtschafts- und arbeitnehmerfreundlicherer Handhabung der geringfügigen Beschäftigung ist ein Ergebnis des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag, also auch keine Leistung der Bundesregierung. Es bleibt bei der Ohnmacht, die unsere politischen Führer befallen hat.

Die Enttäuschung über das Regierungsprogramm mit massiven Steuer- und Abgabenerhöhungen bleibt groß und lähmt die Lust am Konsum. Keiner weiß, was morgen kommt. Kommen wir wirklich an einer Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes vorbei oder wird die Bundesregierung durch einen eventuellen Irak-Krieg zu einer Erhöhung gezwungen, wie seinerzeit beim Golfkrieg?

Bleibt es bei den 19,5 Prozent Rentenversicherungsbeitrag. Was machen die Krankenkassen, die Milliardenlöcher zu stopfen haben. Kommt die Vermögenssteuer wieder? Wie werden sich die vereinbarten Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst auf die Gebührenschraube auswirken?

Alles berechtigte Fragen und Sorgen, mit denen sich unsere Kunden, genau so wie wir, auseinandersetzen müssen.

Hinzu kommt die Sorge um die Finanzierung unserer Geschäfte. Die Kreditlinien werden enger geschnürt. Neben den rückläufigen Einnahmen aus dem täglichen Geschäft drücken viele Kaufleute die restriktiven Maßnahmen der Kreditinstitute. Notwendige Wareneinkäufe können oft nur mit erheblichem Zinsaufwand bezahlt werden, womit notwendige Erträge zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Existenzen verloren gehen.

Was der Einzelhandel brauchte sind Maßnahmen, die die Konjunktur ankurbeln. Aber statt die Konjunktur anzukurbeln, wird alles daran gesetzt, die Konjunktur zu lähmen. Es werden von allen Seiten Lösungsvorschläge gemacht, aber keiner nimmt sie auf und erst recht setzt keiner sie um. Zu sehr sind die Entscheidungen von Ideologien, Lobbyisten und Machterhalt geprägt.

Auch wir Einzelhandelskaufleute werden von der Unsicherheit und Nervosität erfasst. Rabatte, überall Rabatte, als wenn wir keine anderen Lösungen unserer Misere hätten. Wir erziehen unsere Kunden zum Schnäppchenjäger, der heute abwartet, um morgen mit zusätzlichen Rabatten einkaufen zu können. Haben wir unsere uralte Kaufmannstugend der Preiswahrheit und Preisklarheit vergessen, oder geht es vielen von uns tatsächlich so schlecht, dass sie nach dem Strohhalm des Rabatts greifen müssen.

Der Kunde erwartet von uns ein ehrliches Angebot, das dem Preisleistungsverhältnis entspricht. Er ist mobiler denn je zuvor und kann sich seinen „Konsumtempel“ aussuchen. Für den einen ist dies der Discounter, für den anderen das Kaufhaus oder das Fachgeschäft.

Der Kunde ist wählerischer geworden, wie es die Marketingprofessoren uns schon seit geraumer Zeit lehren. Wir müssen uns also abheben vom Angebot des Anderen. Service und Dienstleistung sind gefragt. Das beginnt mit angepassten Ladenöffnungszeiten, geht über Freundlichkeit und Zuvorkommendheit bis hin zu kleineren oder größeren Dienstleistungen, die der Kunde durchaus bereit ist zu bezahlen. Nur angeboten müssen sie werden.

Mit zunehmender Sorge blicken wir auf unseren Nachwuchs. Die Auswahl der zur Verfügung stehenden Auszubildenden wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Nicht PISA oder fehlende Schulabschlüsse sind allein Ursache des Nachwuchskräftemangels. Die angebliche Negativseite unseres Berufes, wie ungünstige Lage der Arbeitszeit oder vermeintlich schlechte Bezahlung, überwiegt in dem Meinungsbild der Öffentlichkeit die schönen Seiten. Wir müssen lernen, die Freude am Beruf des Einzelhandelskaufmanns positiv zu verkaufen.

So blicken wir trotz aller Sorgen optimistisch in die Zukunft, wohl wissend, dass die Durststrecke nicht mehr lange dauern darf, die der Einzelhandel zurzeit durchlebt.