Gefährlicher Dammbruch
Von Volker Giersch
Standpunkt
01.01.2008
Was nicht geschehen durfte, ist geschehen: Der Bundestag hat Mitte Dezember beschlossen, die Postdienstleister in das Entsendegesetz aufzunehmen und so Mindestlöhne im Briefdienstwesen gesetzlich zu schützen. Ungelernte Sortierer erhalten jetzt in Westdeutschland mindestens 8,40 Euro, angelernte Briefzusteller mindestens 9,80 Euro. Negative Abstrahleffekte auf andere Branchen sind programmiert.
Die Gewinner und Verlierer einer politischen Entscheidung waren selten so eindeutig auszumachen. Auf der Seite der Gewinner finden wir zunächst die Aktionäre der Deutschen Post. Der Börsenkurs machte einen kräftigen Satz nach oben, weil der branchenweite Mindestlohn die Marktposition der Post deutlich verbessert. Freuen dürfen sich auch die Gewerkschaften und die Angestellten der Post. Denn sie können den nächsten Lohnrunden jetzt voller Zuversicht entgegen sehen. Da kein Preiswettbewerb durch neue Konkurrenten mehr droht, können höhere Arbeitskosten relativ problemlos auf die Preise überwälzt werden. Die Chancen, hohe Lohnforderungen durchzusetzen, sind entsprechend groß.
Auf der Seite der Verlierer stehen dagegen all jene Unternehmen, die der Post nach dem Wegfall des Briefmonopols Konkurrenz machen wollten. Sie müssen jetzt umfangreiche Startinvestitionen, die sich bei niedrigeren Löhnen gerechnet hätten, weitgehend abschreiben. Für manches Unternehmen steht gar die Existenz auf dem Spiel. Leidtragende sind insbesondere die Mitarbeiter, die von diesen Unternehmen freigesetzt wurden oder noch werden. Ihnen droht jetzt, sofern sie nicht von der Deutschen Post übernommen werden, die Arbeitslosigkeit – zumeist wohl auf längere Zeit. Denn als Geringqualifizierte haben sie eher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Zu den Verlierern zählen ganz sicher auch die Kunden der Post-Branche. Denn weniger Wettbewerb bei Postdienstleistungen bedeutet zwangsläufig höhere Preise, weniger Qualität und nachlassende Kundenorientierung. Die Liberalisierung in der Telekommunikation hat anschaulich gezeigt, wie viel Innovationsdynamik und Produktivitätsfortschritt ein vitaler Wettbewerb entfachen kann. Diese Vorteile bleiben den Postkunden jetzt vorenthalten.
Die Mindestlohn-Entscheidung wäre volkswirtschaftlich noch zu verkraften, wenn sie auf den Bereich der Postdienstleister beschränkt bliebe. Doch das schlechte Beispiel droht Schule zu machen. Vergleichbare Lösungen für weitere Branchen – etwa für Wach- und Sicherheitsdienste und das Fleischergewerbe – sind bereits in der Diskussion. Die Bundesregierung hat sich quasi über Nacht die Tarifverhandlungen dieser und anderer Branchen auf den Tisch gezogen. Das war jahrzehntelang für alle Regierungsparteien tabu.
Absehbar ist, dass in den Mindestlohnbranchen zahlreiche Arbeitsplätze verloren gehen werden. Denn die höheren Arbeitskosten werden auf die Preise überwälzt werden. Und höhere Preise haben nolens volens zwei Effekte. Zum einen dämpfen sie die Nachfrage, weil weniger Menschen bereit oder in der Lage sind, diese Preise zu bezahlen. Zum anderen schaffen sie neue Spielräume für die Schattenwirtschaft. Beides läuft auf das Gleiche hinaus: Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gehen verloren – und zwar vor allem in jenem Segment des Arbeitsmarktes, das uns am meisten Sorgen macht: bei den Ungelernten und Geringqualifizierten.
Diese Gruppe wäre insbesondere auch betroffen, sollte ein weiterer Sündenfall folgen: die stärkere Regulierung der Zeitarbeit. Die Stimmen, die höhere Löhne in dieser Branche fordern, werden zunehmend lauter. „Equal pay“ heißt das Schlagwort. Es besagt, dass Leiharbeiter jeweils soviel verdienen sollen wie gleich qualifizierte Mitarbeiter in den Unternehmen, die sie einsetzen.
Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt. Denn die Folgen wären verheerend: Die Zeitarbeit würde sich so verteuern, dass sie sich in vielen Einsatzbereichen nicht mehr rechnen würde. Ein großer Teil der Arbeitsplätze, die im Zuge des Aufschwungs gerade in der Zeitarbeit neu entstanden sind, würde wieder verloren gehen.
Ärgerlich ist überdies, dass die aktuelle Diskussion ist einem Paradigmenwechsel in der Lohn- und Arbeitsmarktpolitik Vorschub leistet. Während bisher die Produktivität als oberster Maßstab für die Lohnfindung galt, rückt jetzt – von mehr und mehr Politikern propagiert – der Bedarf der Beschäftigten in den Vordergrund; zumindest in den unteren Lohngruppen. Ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, so das Postulat, muss von seinem Nettolohn den eigenen Lebensunterhalt bestreiten können. Und wohl auch den seiner Familie.
Mit dieser Argumentation werden die Linke, die SPD und die Gewerkschaften das Thema „Mindestlohn“ bis zum Wahljahr 2009 weiter offensiv vorantreiben. 7,50 Euro ist als erste Zielmarke seit Monaten gesetzt. Gemessen an den acht bis zehn Euro in der Postbranche klingt das heute fast schon bescheiden. Höhere Zielmarken werden gewiss bald folgen. Bleibt zu hoffen, dass die CDU an dieser Front weiter standhaft bleibt. Ansonsten wären rund drei Millionen Arbeitsplätze gefährdet – Arbeitsplätze, die sich bei höheren Arbeitskosten für die Unternehmen nicht mehr rechnen.
Das wäre nicht nur eine Katastrophe für den Arbeitsmarkt. Es käme uns alle auch teuer zu stehen. Denn es kostet weitaus mehr, einen Arbeitslosen zu finanzieren als einen Niedriglohn aufzustocken. Und um diese Alternative geht es. Deswegen sollten wir möglichst rasch zu der Maxime zurückkehren: Mindesteinkommen ja, Mindestlöhne nein!
Doch selbst wenn der Damm beim Thema Mindestlohn noch eine Weile hält, lauert an der Lohnfront eine andere nicht minder große Gefahr – die Gefahr, dass es wie bereits in den 70er Jahren bald wieder zu einer überproportionalen Anhebung der unteren Lohngruppen kommt. Die Mindestlohnentscheidung bei der Post und der Linksruck der SPD geben solchen Tendenzen jedenfalls neuen Auftrieb. Dies in einer Zeit, in der wir gerade erst beginnen, den hohen Sockel struktureller Arbeitslosigkeit abzubauen, der in der falschen Lohnpolitik jener Jahre seinen Ursprung hat.
Wünschen wir uns aus all diesen Gründen für 2008, dass die Woge des sozialromantischen Populismus in unserem Land bald abebbt und dass sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik wieder stärker an der Logik fundamentaler ökonomischer Gesetze orientiert. Wer es ernst meint mit der Maxime „Sozial ist, was Arbeit schafft“, der muss sich für eine Entriegelung des Arbeitsmarktes einsetzen und nicht für das Gegenteil.
Die Gewinner und Verlierer einer politischen Entscheidung waren selten so eindeutig auszumachen. Auf der Seite der Gewinner finden wir zunächst die Aktionäre der Deutschen Post. Der Börsenkurs machte einen kräftigen Satz nach oben, weil der branchenweite Mindestlohn die Marktposition der Post deutlich verbessert. Freuen dürfen sich auch die Gewerkschaften und die Angestellten der Post. Denn sie können den nächsten Lohnrunden jetzt voller Zuversicht entgegen sehen. Da kein Preiswettbewerb durch neue Konkurrenten mehr droht, können höhere Arbeitskosten relativ problemlos auf die Preise überwälzt werden. Die Chancen, hohe Lohnforderungen durchzusetzen, sind entsprechend groß.
Auf der Seite der Verlierer stehen dagegen all jene Unternehmen, die der Post nach dem Wegfall des Briefmonopols Konkurrenz machen wollten. Sie müssen jetzt umfangreiche Startinvestitionen, die sich bei niedrigeren Löhnen gerechnet hätten, weitgehend abschreiben. Für manches Unternehmen steht gar die Existenz auf dem Spiel. Leidtragende sind insbesondere die Mitarbeiter, die von diesen Unternehmen freigesetzt wurden oder noch werden. Ihnen droht jetzt, sofern sie nicht von der Deutschen Post übernommen werden, die Arbeitslosigkeit – zumeist wohl auf längere Zeit. Denn als Geringqualifizierte haben sie eher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Zu den Verlierern zählen ganz sicher auch die Kunden der Post-Branche. Denn weniger Wettbewerb bei Postdienstleistungen bedeutet zwangsläufig höhere Preise, weniger Qualität und nachlassende Kundenorientierung. Die Liberalisierung in der Telekommunikation hat anschaulich gezeigt, wie viel Innovationsdynamik und Produktivitätsfortschritt ein vitaler Wettbewerb entfachen kann. Diese Vorteile bleiben den Postkunden jetzt vorenthalten.
Die Mindestlohn-Entscheidung wäre volkswirtschaftlich noch zu verkraften, wenn sie auf den Bereich der Postdienstleister beschränkt bliebe. Doch das schlechte Beispiel droht Schule zu machen. Vergleichbare Lösungen für weitere Branchen – etwa für Wach- und Sicherheitsdienste und das Fleischergewerbe – sind bereits in der Diskussion. Die Bundesregierung hat sich quasi über Nacht die Tarifverhandlungen dieser und anderer Branchen auf den Tisch gezogen. Das war jahrzehntelang für alle Regierungsparteien tabu.
Absehbar ist, dass in den Mindestlohnbranchen zahlreiche Arbeitsplätze verloren gehen werden. Denn die höheren Arbeitskosten werden auf die Preise überwälzt werden. Und höhere Preise haben nolens volens zwei Effekte. Zum einen dämpfen sie die Nachfrage, weil weniger Menschen bereit oder in der Lage sind, diese Preise zu bezahlen. Zum anderen schaffen sie neue Spielräume für die Schattenwirtschaft. Beides läuft auf das Gleiche hinaus: Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gehen verloren – und zwar vor allem in jenem Segment des Arbeitsmarktes, das uns am meisten Sorgen macht: bei den Ungelernten und Geringqualifizierten.
Diese Gruppe wäre insbesondere auch betroffen, sollte ein weiterer Sündenfall folgen: die stärkere Regulierung der Zeitarbeit. Die Stimmen, die höhere Löhne in dieser Branche fordern, werden zunehmend lauter. „Equal pay“ heißt das Schlagwort. Es besagt, dass Leiharbeiter jeweils soviel verdienen sollen wie gleich qualifizierte Mitarbeiter in den Unternehmen, die sie einsetzen.
Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt. Denn die Folgen wären verheerend: Die Zeitarbeit würde sich so verteuern, dass sie sich in vielen Einsatzbereichen nicht mehr rechnen würde. Ein großer Teil der Arbeitsplätze, die im Zuge des Aufschwungs gerade in der Zeitarbeit neu entstanden sind, würde wieder verloren gehen.
Ärgerlich ist überdies, dass die aktuelle Diskussion ist einem Paradigmenwechsel in der Lohn- und Arbeitsmarktpolitik Vorschub leistet. Während bisher die Produktivität als oberster Maßstab für die Lohnfindung galt, rückt jetzt – von mehr und mehr Politikern propagiert – der Bedarf der Beschäftigten in den Vordergrund; zumindest in den unteren Lohngruppen. Ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, so das Postulat, muss von seinem Nettolohn den eigenen Lebensunterhalt bestreiten können. Und wohl auch den seiner Familie.
Mit dieser Argumentation werden die Linke, die SPD und die Gewerkschaften das Thema „Mindestlohn“ bis zum Wahljahr 2009 weiter offensiv vorantreiben. 7,50 Euro ist als erste Zielmarke seit Monaten gesetzt. Gemessen an den acht bis zehn Euro in der Postbranche klingt das heute fast schon bescheiden. Höhere Zielmarken werden gewiss bald folgen. Bleibt zu hoffen, dass die CDU an dieser Front weiter standhaft bleibt. Ansonsten wären rund drei Millionen Arbeitsplätze gefährdet – Arbeitsplätze, die sich bei höheren Arbeitskosten für die Unternehmen nicht mehr rechnen.
Das wäre nicht nur eine Katastrophe für den Arbeitsmarkt. Es käme uns alle auch teuer zu stehen. Denn es kostet weitaus mehr, einen Arbeitslosen zu finanzieren als einen Niedriglohn aufzustocken. Und um diese Alternative geht es. Deswegen sollten wir möglichst rasch zu der Maxime zurückkehren: Mindesteinkommen ja, Mindestlöhne nein!
Doch selbst wenn der Damm beim Thema Mindestlohn noch eine Weile hält, lauert an der Lohnfront eine andere nicht minder große Gefahr – die Gefahr, dass es wie bereits in den 70er Jahren bald wieder zu einer überproportionalen Anhebung der unteren Lohngruppen kommt. Die Mindestlohnentscheidung bei der Post und der Linksruck der SPD geben solchen Tendenzen jedenfalls neuen Auftrieb. Dies in einer Zeit, in der wir gerade erst beginnen, den hohen Sockel struktureller Arbeitslosigkeit abzubauen, der in der falschen Lohnpolitik jener Jahre seinen Ursprung hat.
Wünschen wir uns aus all diesen Gründen für 2008, dass die Woge des sozialromantischen Populismus in unserem Land bald abebbt und dass sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik wieder stärker an der Logik fundamentaler ökonomischer Gesetze orientiert. Wer es ernst meint mit der Maxime „Sozial ist, was Arbeit schafft“, der muss sich für eine Entriegelung des Arbeitsmarktes einsetzen und nicht für das Gegenteil.