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Gerecht – oder „sozial gerecht“?

Von Dr. Richard Weber, Präsident der IHK Saarland
Kolumne

01.02.2000

„Die Welt ist ungerecht: Jeder denkt an sich – nur ich denke an mich!“ Das soll einmal ein Spaßvogel gesagt haben. Vielleicht war es auch ein Zyniker, aber gewiß ein guter Menschenkenner.

Ein Politiker kann es kaum gewesen sein: Die kommen zwar häufig zum gleichen Ergebnis – aber ja nur deshalb, weil sie beständig an andere denken. Deshalb entdecken sie auch fast täglich und allenthalben neue „Gerechtigkeits-Lücken“: Da gibt es doch nebeneinander in unserer Gesellschaft Große und Kleine, Junge und Alte, Arme und Reiche, Schöne und Hässliche, Gescheite und weniger Gescheite. In Maßen ist dies ja alles noch zu ertragen. Aber wenn jemand um x Prozent unter dem Durchschnitt liegt, dann hat er ein Problem. Er wird zum Objekt unseres Fürsorgestaates.

Wer um y Prozent über dem Durchschnitt liegt ist ein Problem. Auch um ihn kümmert sich der Fürsorgestaat: Er hilft ihm, dem Durchschnitt wieder näher zu kommen. Dies ist das Grundkonzept unseres Sozialstaates aus der Sicht der Sozialpolitiker: Ergebnisgleichheit statt Chancengerechtigkeit. Die Sache hat nur einige Haken: Niemand interessiert sich dafür, wie und warum die festgestellten Unterschiede zustande gekommen sind. Niemand kann plausibel begründen, wie groß x oder y nun sein müssen – sie werden nach „Machbarkeit“ und politischem Kalkül definiert. Wenn der Durchschnitt zur Norm erhoben, die Abweichungen von ihm minimiert werden sollen, muss das Idealbild logischerweise die totale Gleichheit sein. Erst dann ist die soziale Gerechtigkeit vollkommen.

Im Zeitalter des „Klonens“ werden wir diesem „Idealbild“ vielleicht eines Tages sogar näher kommen. Aber solange Menschen noch als Individuen – und damit unterschiedlich – zur Welt kommen, solange werden sie sich auch unterschiedlich entwickeln. In der realen Welt ist vollkommene soziale Gerechtigkeit daher letztlich nur mit vollkommener Unfreiheit zu erreichen, mit vollkommener Ineffizienz und auf niedrigstem Niveau. Dies waren die Lehren des real existierenden Sozialismus – überall auf der Welt.

Das Grundkonzept der „Sozialen Marktwirtschaft“, die vor anderthalb Jahren ihren fünfzigsten Geburtstag begehen konnte, setzt dagegen auf Chancengleichheit, Freiheit und Effizienz. Drei Elemente sind dafür konstitutiv:

  • Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit.
  • Wettbewerb und Offenheit des Systems.
  • Subsidiarität in der sozialen Sicherung.
Das erste Element führt zu richtig gesetzten Anreizen (auch für eher durchschnittlich moralische Zeitgenossen), zu Akzeptanz und Effizienz. Wettbewerb entwertet Privilegien und beschränkt wirtschaftliche Macht. Er beugt Verschwendung vor und läßt Newcomern und neuen Ideen eine faire Chance. Indem er Preise niedrig hält, ist er der beste Schutz für sozial Schwache. Soziale Absicherung schließlich ist eine Aufgabe, die – mit wachsendem Wohlstand immer mehr – der einzelne leisten muß – und kann. Natürlich muß es für die großen Risiken (Krieg, Naturkatastrophen) ein zusätzliches staatliches Netz geben – und für unverschuldete Notlagen eine untere Auffanglinie. Subsidirität bedeutet, ernstgenommen, dass es am Ende immer lohnender sein muß, sich selbst zu helfen, statt allein auf die Solidarität anderer zu setzen.

Auf der Grundlage dieser Prinzipien erarbeitete sich die junge Bundesrepublik seinerzeit ihr „Wirtschaftswunder“ – einen bis dahin nicht vorstellbaren Massenwohlstand mit enormen sozialen Aufstiegschancen und einer heute nicht mehr denkbaren Akzeptanz für dieses Politiksystem – und die es tragenden Politiker.
Die frühe Bundesrepublik war ein Aufsteigerland – im besten Wortsinn. Mit dem Paradigmenwechsel von der Leistungsgesellschaft zum Wohlfahrtsstaat sind wir auf die Kriechspur geraten. Alles im Namen „sozialer Gerechtigkeit“.
Aber die Menschen spüren zunehmend:
Das vermeintliche Mehr an „sozialer Gerechtigkeit“ führt mehr und mehr zu tatsächlicher (Leistungs-)Ungerechtigkeit. Wenn längst schon die Hälfte dessen, was wir erwirtschaften, vom Staat und seiner Umverteilungsbürokratie beansprucht wird, wenn über ein Drittel unserer Gesamtausgaben Sozialausgaben sind – und wenn das alles immer noch viel zu wenig sein soll für die „soziale Gerechtigkeit“ – dann empfinden immer mehr Bürger, wie der von Regina Görner zitierte Augustinus:
„Fehlt die Gerechtigkeit, was sind dann die Staaten anders als große Räuberbanden?“

Nur verstehen sie das ganz anders, als Frau Görner, die im Namen des heiligen Augustinus nun vom Saarland aus ihren Kreuzzug gegen den „Wunden schlagenden Kapitalismus“ hierzulande und für noch mehr Umverteilung, Subventionen und (Ausbildungsplatz-)Abgaben führt.

A propos Räuberbanden: Worin besteht der Unterschied zwischen Robin Hood und dem modernen Fürsorgestaat? Antwort: Robin Hood wußte, dass der Reichtum derer, denen er nahm weitgehend auf Privilegien beruhte. Und er kannte die Bedürftigkeit seiner Armen noch aus eigener Anschauung. Auf beides kann sich der Fürsorgestaat heute nicht mehr berufen.