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Gleichbehandlungsgesetz diskriminiert Unternehmer – und kostet Arbeitsplätze

Von Volker Giersch Kommentar

02.06.2006

Politiker fast aller Couleur proklamieren es immer wieder: „ Deutschland braucht endlich Fortschritte bei Deregulierung und Entbürokratisierung. Die Unternehmen müssen von unnötigen Fesseln befreit werden, damit sie mehr Dynamik entfalten und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen können.“ Richtig! Die Spitzenorganisationen der Wirtschaft fordern das schon lange – und hatten deshalb erwartungsvoll begrüßt, dass sich CDU und SPD im Koalitionsvertrag darauf verständigt hatten, Richtlinien der EU künftig „eins zu eins“ umzusetzen. Und nicht mehr unnötig draufzusatteln.

Wie so oft folgen den richtigen Worten leider falsche Taten. Jüngstes Beispiel dafür ist der am 10. Mai beschlossene Regierungsentwurf des „Gesetzes zur Allgemeinen Gleichbehandlung (AGG)“, besser bekannt unter der ursprünglichen Bezeichnung „ Antidiskriminierungsgesetz“.

Gleichermaßen ärgerlich wie befremdlich ist, dass der neue Entwurf nur marginal von jenem abweicht, den Rot-Grün vor gut einem Jahr vorgelegt hatte. Damals hatten die Unionsparteien das Vorhaben als „weltfremd“, „wirtschaftsfeindlich“ und „unserer Rechtsordnung zuwiderlaufend“ kritisiert, wollten es gar mit ihrem Veto im Bundesrat stoppen. Wer soll da noch verstehen, dass die Union jetzt plötzlich einen Gesetzentwurf mitträgt, auf den alle von ihr einst angeprangerten Negativ-Attribute nahezu unvermindert zutreffen.

Vertrauensbruch

Zu Recht hat DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun deshalb von Vertrauensbruch gesprochen. Der Vorwurf wiegt schwer. Schließlich wollte die Große Koalition durch eine verlässliche Politik dazu beitragen, die Vertrauenskrise in unserem Land zu überwinden. Jetzt empfangen wir das Signal, dass politische Opportunität wohl weiter vor Verlässlichkeit und Prinzipientreue rangiert: Jedenfalls rücken die Regierungsparteien ohne Not und zu Lasten der Wirtschaft von einer wichtigen Vereinbarung des Koalitionsvertrages ab.

Die Kommentare aus der Wirtschaft zeigen, dass das Vertrauen in die Politik – nach einem bemerkenswerten Zwischenhoch – schon wieder zu schwinden beginnt. Da wächst die Befürchtung, dass das viel beschworene Postulat „Mehr Freiheit wagen!“ auch auf anderen Politikfeldern in Gesetze münden wird, die de facto mehr Bürokratie bringen. Und liegt es jetzt nicht auch nahe, dass sich die vereinigten Sozialpolitiker der beiden großen Volksparteien auch bei anderen Reformprojekten durchsetzen werden?

Der Schaden, den der Gesetzentwurf anzurichten droht, geht damit weit über die unmittelbaren Folgen hinaus. Und diese sind bereits bedrohlich genug.

Bundesregierung sattelt drauf

Schon die zugrunde liegenden EU-Richtlinien sind alles andere als wirtschaftsfreundlich. Selbst bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung würden sie ein erhebliches Mehr an Regulierung, Bürokratie und wohl auch an Rechtsunsicherheit bringen. Die Hauptleidtragenden wären die Unternehmen – insbesondere die kleinen und mittleren. Umso schwerer wiegt, dass die Große Koalition unnötig weiter draufsattelt. Und dies gleich in mehrerlei Hinsicht:

Sie weitet den Geltungsbereich des Gesetzes im Zivilrecht erheblich aus. Während die EU-Richtlinie lediglich darauf abstellt, Benachteiligungen aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht zu verbieten, wurden in den deutschen Gesetzentwurf zusätzlich noch die Diskriminierungsmerkmale Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität hinzugefügt. Sie räumt den Gewerkschaften und Betriebsräten ein eigenständiges Klagerecht ein, das selbst dann besteht, wenn der „Diskriminierte“ die Verletzung eigener Rechte gar nicht geltend machen will. Sie hat entgegen den Forderungen der Wirtschaft keine Erheblichkeitsschwelle in das Gesetz aufgenommen. Der DIHK hatte etwa vorgeschlagen, von einer unmittelbaren Benachteiligung nur dann auszugehen, wenn eine Person in erheblicher Weise oder wiederholt eine Benachteiligung erfährt.

Arbeitsbeschaffung für Juristen

Für die Wirtschaft bringt all das zusätzliche Risiken, erhöhten Dokumentationsaufwand und nicht zuletzt auch ein gerüttelt Maß an Rechtsunsicherheit mit sich – letzteres, weil der Gesetzestext eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthält, die von den Gerichten erst noch konkretisiert werden müssen.

Seine volle Giftwirkung wird das AGG freilich erst im Zusammenspiel mit dem deutschen Arbeits- und Kündigungsschutzrecht entfalten. Die Arbeitsgerichte sehen mit dem neuen Gesetz bereits eine steigende Zahl von Prozessen auf sich zukommen. Für Unternehmen, so der Präsident des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes Udo Isenhardt, werde es mit dem neuen Recht noch schwieriger werden, bei betriebsbedingten Kündigungen die richtige Sozialauswahl zu treffen. Auch für kleine Unternehmen, die bislang nicht dem Kündigungsschutzrecht unterliegen, wird die Auswahl des „Richtigen“ bei Inkrafttreten des AGG demnächst wohl zu einem konfliktträchtigen Thema.

Unternehmen, die die Risiken wirksam begrenzen wollen, brauchen zusätzlichen juristischen Beistand – insbesondere bei ihren Personaldispositionen. Bei Einstellungen etwa wird es nötig sein, in jedem Einstellungsgespräch juristisch versierte Zeugen hinzuzuziehen.

Auch darüber hinaus werden die Unternehmen ihre Kommunikation mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten künftig penibel dokumentieren müssen, um die Gefahr teurer Prozesse abzumildern. Solche Dokumentation ist schon deshalb nötig, weil die Unternehmen bei Rechtsstreitigkeiten einen schwierigen Stand haben. Zwar muss der Kläger die Diskriminierung durch Tatsachen glaubhaft machen. Die Beweislast liegt dann allerdings – so bereits die EU-Vorgabe – beim Beklagten. Kurz: Der Unternehmer wird schlüssig beweisen müssen, dass er nicht diskriminiert hat.

Diskriminierung der Arbeitslosen

Das Fazit aus alledem: In der Praxis wird sich das AGG sehr rasch als Bürokratiemonster und als zusätzliche Einstellungsbarriere erweisen. Die Beschäftigung von Mitarbeitern wird risikoreicher und teurer. Treffen wird das vor allem jene, die in unserer Gesellschaft seit Jahren bereits am stärksten diskriminiert werden - die Arbeitslosen und Arbeitssuchenden.

Noch ist es freilich nicht zu spät. Es bleibt die vage Hoffnung, dass sich das Murren in den Reihen der Union weiter verstärkt und die Ministerpräsidenten im Bundesrat auf Korrekturen drängen, die der Bundestag dann akzeptiert. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller hat sein Unbehaben bereits in aller Klarheit öffentlich artikuliert. Wünschen wir ihm und seinen Kollegen Erfolg.