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IHK-Prognose: Im nächsten Jahr bestenfalls nur Mini-Wachstum

Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik erforderlich - Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln deutlich verbessern

20.12.2023

„2024 dürfte erneut kein einfaches Jahr für die Saarwirtschaft werden. Denn neben den anhaltenden konjunkturellen Risiken und strukturellen Defiziten, denen unser Wirtschaftsstandort ausgesetzt ist, müssen die Unternehmen auch noch die Herausforderungen der ökonomischen, ökologischen und digitalen Transformation bewältigen. All dies wirkt kostentreibend, verringert den Spielraum für Innovationen und Investitionen und reduziert zunehmend die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Unter diesen Bedingungen kann die Wirtschaft nicht aus ihrer anhaltenden Wachstumsschwäche herausfinden. Was es jetzt braucht, ist ein klares Signal des Aufbruchs durch einen grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“, so IHK-Präsident Dr. Hanno Dornseifer.
 
Ziel muss es aus Sicht der IHK sein, die seit Jahren bestehenden Wachstumsbremsen zu lösen, damit die Wirtschaft wieder eine Zukunftsperspektive erhält und Tempo aufnehmen kann. „Dafür bedarf es Mut, Entschlossenheit und Umsetzungsstärke. Nur dann haben der Standort Deutschland und damit auch das Saarland die Chance, wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs einzuschwenken. Dieser ist die Bedingung für mehr Beschäftigung und steigenden Wohlstand. Allein unter diesen Voraussetzungen und unter der Annahme eines weiterhin starken Exportgeschäfts rechnen wir für 2024 allenfalls mit einem minimalen Plus beim BIP-Wachstum in der Größenordnung von bis zu 0,5 Prozent“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Frank Thomé.

Mit dem relativ schwachen Prognosewert für das Jahr 2024 knüpft die IHK an das laufende Jahr an, in dem die Wirtschaftsleistung aller Voraussicht nach stagnieren wird. Thomé: „Das Jahr 2023 war für die Saarwirtschaft ein schwieriges Jahr. Den Unternehmen machten insbesondere die Energiekrise, das hohe Zinsniveau sowie die allgemeine Investitions- und Konsumzurückhaltung zu schaffen. Insbesondere die Industrie konnte daher auch in diesem Jahr nicht ihre volle Kraft als Treiber von Innovation, Wachstum und Beschäftigung entfalten.“ Zwar profitierte sie von beachtlichen Zuwächsen im Exportgeschäft. Das erfreuliche Plus im Außenhandel wird aber auf Jahressicht aller Voraussicht nach die schwache binnenwirtschaftliche Nachfrage nicht ausgleichen können. „Neben mangelndem konjunkturellen Rückenwind haben die gravierenden strukturellen Defizite die Wachstumsschwäche der Saarwirtschaft weiter verstärkt. Alles in allem rechnen wir für 2023 daher beim BIP-Wachstum bestenfalls mit einer schwarzen Null“, so der IHK-Hauptgeschäftsführer zur Entwicklung der Saarwirtschaft im Jahr 2023.

Exportvolumen auf Rekordniveau, aber schwaches Inlandsgeschäft

Den Einschätzungen der IHK liegt eine detaillierte Analyse der saarländischen Industrie zugrunde. So musste das Verarbeitende Gewerbe an der Saar 2023 bei den Auftragseingängen in den ersten zehn Monaten des Jahres ein kumuliertes Minus von 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnen (Bund: -4,0 Prozent). Die Umsätze liegen mit 3,6 Prozent leicht im Plus (Bund: 2,1 Prozent). Diesem leichten Zuwachs stehen indes erhebliche Kostensteigerungen bei Löhnen, Zinsen und Produktionsmitteln sowie Vorleistungen gegenüber. Während der Inlandsumsatz im genannten Zeitraum um 2,3 Prozent sank (Bund: -0,3 Prozent), stieg der Auslandsumsatz um 9,8 Prozent (Bund: 4,4 Prozent).

Alles in allem beliefen sich die kumulierten Exporte seit Januar auf 15,4 Milliarden Euro und erzielten damit einen neuen Rekordwert. Positiv ist zudem, dass die Saarwirtschaft erstmals seit drei Jahren wieder einen Handelsbilanzüberschuss erwirtschaftet hat (rund 860 Millionen Euro).

Verarbeitendes Gewerbe behauptet sich in schwierigem Umfeld

Trotz massiv gestiegener Energiepreise präsentierte sich das Verarbeitende Gewerbe auf Basis der kumulierten Umsätze der ersten zehn Monate deutlich robuster als befürchtet – und dies obwohl zwei von drei Kernbranchen der Saarindustrie teils deutliche Umsatzeinbußen zu verzeichnen hatten:

So musste die Stahlindustrie gegenüber dem Vorjahr deutlich schlechtere Erlöse verbuchen (-19,8 Prozent). Ursächlich hierfür ist der Nachfragerückgang bei einigen stahlverarbeitenden Branchen wie etwa dem Maschinen- und Anlagenbau, der unter der Investitionsschwäche in Deutschland leidet. Belastet wird die Lage der Stahlindustrie zudem durch unverändert hohe Energiekosten und steigende Preise für CO2-Zertifikate.

Nicht ganz so schwach, aber ebenfalls im Minus lagen die Umsätze imMaschinen- und Anlagenbau (-3,8 Prozent). Grund hierfür war die allgemeine Investitionsschwäche als Folge gestiegener Finanzierungskosten und hoher Unsicherheit über Laufzeiten und Volumina von staatlichen Förderprogrammen, insbesondere nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts.

Demgegenüber konnte die Automobilwirtschaft im Saarland trotz eines schwierigen Marktumfeldes deutlich zulegen (+22,3 Prozent). Nach Angaben des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA) wurden deutschlandweit im laufenden Jahr bisher vier Millionen Fahrzeuge und damit 15 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum produziert, als der Branche noch pandemiebedingte Lieferkettenprobleme zusetzten. Ungeachtet dieses deutlichen Anstiegs liegt die nominale Bruttowertschöpfung der Branche an der Saar noch unter dem Niveau von 2016.

Kaum Aufholchancen im neuen Jahr

Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich 2024 moderat fortsetzen. So wird sich nach Prognosen der OECD das Wachstum des globalen Sozialprodukts von 2,9 Prozent in diesem Jahr auf 2,7 Prozent im nächsten Jahr abschwächen. Dagegen dürfte der Welthandel gegenüber dem laufenden Jahr (+0,8 Prozent) deutlich zulegen (+3,3 Prozent) – vorausgesetzt, dass es zu keinen exogenen Schocks kommt, die den weltweiten Handel und die globale Arbeitsteilung negativ beeinträchtigen.

„Das Saarland würde mit seiner exportstarken Industrie in besonderem Maße vom Anziehen des internationalen Handels profitieren. Gerade angesichts des hohen Anteils des US-Geschäfts an den Gesamtausfuhren des Saarlandes rechnen wir deshalb mit einem Anstieg der Ausfuhren in der Größenordnung von 5 bis 8 Prozent im nächsten Jahr. Der Export würde damit für ein Wachstum leicht oberhalb der Nulllinie sorgen“, so Thomé.

Für mehr Wachstum braucht es allerdings grundlegende Strukturreformen, die der Wirtschaft ein echtes Aufbruchssignal vermitteln. „Das in der Sache deutliche Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts bietet die Chance für einen mutigen Neustart in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die Politik ist daher gefordert – auch nach der jüngsten Einigung im Haushaltsstreit – zu einer verlässlichen Haushaltsführung zurückzukehren, um bei Unternehmen und Verbrauchern Vertrauen zurückzugewinnen und Planungssicherheit zu gewährleisten. Je mehr die Bundesregierung hierbei allerdings auf Steuer- und Abgabenerhöhungen zurückgreifen sollte, umso höher dürfte der Verlust an Wirtschaftsleistung ausfallen“, sagt Dornseifer.

„Wesentliche Voraussetzung für mehr Wachstum sind deutlich mehr öffentliche Investitionen. Diese müssen stets darauf gerichtet sein, privates Kapital nachzuziehen. Die Landesregierung muss deshalb alle Hebel in Bewegung setzen, damit der eingeschlagene Transformationspfad der Saarindustrie in Richtung Klimaneutralität und der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur erfolgreich beschritten werden können. Dies setzt auch voraus, dass der Bund seine Finanzzusagen gegenüber dem Saarland auch bei der Ansiedlung des US-Halbleiterherstellers Wolfspeed einhält. Kommen diese Mittel nicht, wäre dies ein irreparabler Schaden für das Image des Standortes“, so Dornseifer weiter.

Vom privaten Konsum werden aller Voraussicht nach auch 2024 nur moderate Impulse ausgehen. Zwar ist die Inflation rückläufig und die hohen Tarifabschlüsse führen zu einem Plus an realer Kaufkraft, doch die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung steigert die ohnehin schon bestehende Kaufzurückhaltung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die gestiegenen Zinsen belasten weiterhin die Nachfrage nach Bauleistungen, und hier vor allem im Wohnungsbau.
 
Arbeitsmarkt 2024: Beschäftigungsrückgang absehbar

Während sich der saarländische Arbeitsmarkt im laufenden Jahr noch als relativ robust erwiesen hat, dürfte sich dies im kommenden Jahr ändern. Dann dürften die negativen Auswirkungen der strukturellen Probleme auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. „Wir erwarten daher für 2024 einen moderaten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Moderat deshalb, weil zahlreiche Unternehmen unverändert nach Fachkräften suchen. Bei der Beschäftigungsentwicklung sehen wir jedoch eine Trendwende am Horizont und erwarten für 2024 einen Verlust von bis zu 1.500 Arbeitsplätzen auf dann gut 392.000 im Jahresschnitt. Damit wäre der Abstand zum Ziel der Landesregierung von 400.000 Arbeitsplätzen wieder etwas gewachsen“, so Thomé.

Aufwertung des Standortes erforderlich

„Der Blick auf die saarländischen Wachstumszahlen unterstreicht den erheblichen Handlungsbedarf. Seit der Jahrtausendwende verzeichnet das Saarland noch nicht einmal ein Drittelwachstum gegenüber dem Bund – und alle Aufholversuche wurden durch die Krisen der letzten Jahre konterkariert. Doch ohne eine überdurchschnittlich starke und dauerhafte Wachstumsphase droht das Saarland in der Einkommensentwicklung und damit letztlich auch beim Steueraufkommen gegenüber dem Bund immer weiter zurückzufallen. Für einen nachhaltigen Aufholprozess ist daher vor allem eine erhebliche Ausweitung privatwirtschaftlicher Investitionen erforderlich. Um diese jedoch zu attrahieren, bedarf es einer Aufwertung des Standorts im nationalen wie auch im internationalen Vergleich“, sagt Dornseifer.

Deshalb muss aus Sicht der IHK die strukturelle Transformation so gestaltet werden, dass die Wettbewerbsfähigkeit des industriellen Kerns gesichert und zugleich die Wirtschaftsstruktur weiter diversifiziert wird. „Dies erfordert von der Landesregierung eine konsistente und kohärente Strategie mit konkreten Projekten und prioritären Maßnahmen. Vor allem aber mutiges, entschlossenes und zielgerichtetes Handeln. Denn neue Technologien und Wettbewerber sowie die Verschärfung der Klimaschutzziele auf europäischer und nationaler Ebene setzen die Saarindustrie unter massiven Anpassungsdruck. Aufgabe von Politik muss es daher sein, exzellente Bedingungen für neue zukunftsweisende Wertschöpfungszentren zu schaffen – neben der Halbleiterindustrie etwa auch in der Wasserstoff- und Batterietechnik sowie in der Kreislaufwirtschaft. Hier besteht ein erhebliches Potential für mehr Wertschöpfung und Beschäftigung“, sagt Thomé.