„Innovationen brauchen den richtigen Nährboden“
Von IHK-Vizepräsident Walter Siebert
Kolumne
01.11.2006
Dass wir in diesem Jahr wohl zum vierten Mal in Folge „ Exportweltmeister“ werden, ändert nichts an diesem Befund. Denn diesen Titel verdanken wir nahezu ausschließlich der Automobilindustrie, der Chemie und dem Maschinenbau. In den Kernfeldern der Hochtechnologie – Elektronik und Biotechnologie etwa – verliert Deutschland weiter an Boden. Wir sind (noch) Spitze, wo es um die Verbesserung des Bestehenden geht. Aber wir sind schwach, wo es um grundsätzlich Neues geht - und darin, neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft schnell genug in marktfähige Produkte umzusetzen.
Sicher ist es richtig, mehr öffentliche Gelder in die Spitzenforschung und die Exzellenz unserer Hochschulen zu investieren. Länder wie Japan, USA, Dänemark oder Finnland geben wesentlich höhere Anteile ihrer Wirtschaftsleistung für solche Zukunftsinvestitionen aus – und konnten dementsprechend auch ihren Wettbewerbsvorsprung vergrößern. Dass die Bundesregierung hier gegensteuern will, ist zu begrüßen. Gut wäre es, wenn Deutschland dabei künftig weniger auf technologiespezifische Förderprogramme setzen würde, sondern stärker auf eine breitere steuerliche Förderung. Dann könnten auch kleinere und mittlere Unternehmen besser davon profitieren. Japan und die USA haben mit einer solchen Umstellung beste Erfahrungen gemacht.
Gut wäre es auch, wenn der Wechsel zwischen Wirtschaft und Wissenschaft leichter gelänge; hier ist das unflexible öffentliche Dienstrecht noch immer ein zu großes Hindernis. Wichtig wäre es zudem, mehr privates Risikokapital für spin offs und innovative Gründer zu mobilisieren und die Bildung von Eigenkapital zu erleichtern. Die steuerliche Freistellung einbehaltener Gewinne bis zum Erreichen einer Mindest-Eigenkapitalquote und das Heraufsetzen Wesentlichkeitsgrenze für Beteiligungen gehört deshalb zu den Kernforderungen an eine Unternehmenssteuerreform.
All dies wird allerdings kaum reichen. Wer auf Dauer mehr Innovationen hervorbringen will, muss nicht nur die Fähigkeiten dazu verbessern, sondern auch den Wunsch und den Willen dazu stärken und für ein innovationsfreundliches Klima sorgen. Gerade an Letzterem scheint es mir in Deutschland nach wie vor zu fehlen. Der beste Beleg dafür ist, dass wir weiterhin auf Kernkraft verzichten wollen, Grüne Gentechnik verteufeln oder Technologien wie dem Transrapid im eigenen Land keine Chance geben.
Innovationen entstehen aus dem Wunsch nach Veränderung – und nicht aus dem Festhalten am Bestehenden. Wir müssen deshalb Einstellungen verändern oder gleich die richtigen Einstellungen vermitteln. Am besten geschieht dies schon in der Kindererziehung, im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule. Fördern wir Neugier und Experimentierfreude? Belohnen wir Leistung? Bewundern oder beneiden wir erfolgreiche Menschen? Wer sind unsere Vorbilder? Es mag altmodisch klingen, aber für mich ist der Wille, in Bildung und Erziehung wieder Werte zu vermitteln, Lust auf Leistung zu erzeugen, Chancen statt Risiken zu betonen und unternehmerisches Denken und Handeln zu fördern, der entscheidende Schlüssel.
Wie bringen wir unsere Bildungseinrichtungen dorthin? Am besten dadurch, dass wir ihnen selbst die Anreize, die Freiheiten und die Chancen geben, sich unternehmerisch und leistungsorientiert zu verhalten: Durch mehr Eigenverantwortung und Wettbewerb untereinander. Wettbewerb um Schüler und Studenten. Wettbewerb um die besten Erziehungskonzepte oder die beste Lehre. Dazu gehören natürlich ausreichende Mittel. Und in den Schulen ein Fächerkanon, in dem Naturwissenschaften und ökonomisches Grundverständnis einen festen Platz haben. Übrigens: In Bayern startet gerade das erste Unternehmergymnasium, um Nachwuchstalente frühzeitig zu fördern – Nachahmung dringend empfohlen ...
Selbst wenn wir all dies umgehend umsetzen, wird es noch viele Jahre dauern, bis wir wieder eine ausreichend große Zahl junger Menschen haben werden, die hinreichend motiviert und vorgebildet sind, ein technisches Studium aufzunehmen. Und genügend unternehmerischen Nachwuchs, der fit und bereit ist, Neues zu wagen und Risiken zu übernehmen. Ingenieure und Unternehmer fallen nicht vom Himmel. Wir brauchen beides – am besten eine Kombination von beidem – um im Innovationswettbewerb wieder Spitze zu werden. Fangen wir heute damit an, die Voraussetzungen dafür zu schaffen!