©peterschreiber.media - stock.adobe.com
Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung
01.02.2022
Nachdem schon mehrere Urteile dazu ergangen sind, hat sich nunmehr der BGH zu der Frage geäußert, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist. Er bejaht einen Anspruch auf Mietanpassung; im Einzelfall bedarf es jedoch einer umfassenden Abwägung.
Gegenstand des Rechtsstreits war ein Mietvertrag über Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Aufgrund einer Allgemeinverfügung des Landes Sachsen musste die Beklagte ihr Geschäft vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen. Für den Monat April 2020 entrichtete sie keine Miete.
Das LG hat die Beklagte zur Zahlung der vollen Miete für den Monat April 2020 verurteilt. Das OLG hat die Beklagte zur Zahlung der hälftigen Miete verurteilt. Aufgrund der staatlichen Schließungsanordnung sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die dazu berechtigt, die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte zu reduzieren. Der Vermieter hat gegen diese Entscheidung Revision vor dem BGH eingelegt.
Der BGH hat das Vorliegen eines Mangels verneint, der zu einer Minderung der Miete berechtigt. Es liegt keine Beeinträchtigung des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts vor. Voraussetzung dafür ist, dass die Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Die Schließungsanordnung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des Corona-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die Schließung wird dem Mieter aber eine konkrete Nutzung der Mieträume nicht verboten.
Die Betriebsschließung stellt jedoch eine schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB dar. Nach der neu geschaffenen Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB wird vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.
Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht automatisch zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift weiter, dass dem Mieter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der staatlichen Schließungsanordnung, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann.
Durch die Corona-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung nicht erfasst wird und damit keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden kann.
Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Bei der Abwägung sind zu betrachten, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind (z.B. Umsatzrückgang). Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern (z.B. Eröffnung eines Onlineshops).
Es sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, sind nicht zu berücksichtigen, da der Mieter diese zurück zahlen muss. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.
In der Sache hat er an das OLG zur weiteren Klärung zurückverwiesen.
BGH, Urteil vom 12. Januar 2022, XII ZR 8/21
Quelle: PM des BGH vom 12. Januar 2022
Veranstaltungshinweis:
Rechtsanwalt Ottmar Krämer, Fachanwalt für Miet- und WEG-Recht und Vorsitzender dieses Fachanwaltsausschusses bei der Rechtsanwaltskammer des Saarlandes (Kanzlei Rapräger, Saarbrücken) wird am Mittwoch, 16. März 2022, 17.00 bis 18.30 Uhr im Rahmen eines Webinars die Fragen der Mietminderung und der Rückgabe beim gewerblichen Mietvertrag behandeln.
Gegenstand des Rechtsstreits war ein Mietvertrag über Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Aufgrund einer Allgemeinverfügung des Landes Sachsen musste die Beklagte ihr Geschäft vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen. Für den Monat April 2020 entrichtete sie keine Miete.
Das LG hat die Beklagte zur Zahlung der vollen Miete für den Monat April 2020 verurteilt. Das OLG hat die Beklagte zur Zahlung der hälftigen Miete verurteilt. Aufgrund der staatlichen Schließungsanordnung sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die dazu berechtigt, die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte zu reduzieren. Der Vermieter hat gegen diese Entscheidung Revision vor dem BGH eingelegt.
Der BGH hat das Vorliegen eines Mangels verneint, der zu einer Minderung der Miete berechtigt. Es liegt keine Beeinträchtigung des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts vor. Voraussetzung dafür ist, dass die Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Die Schließungsanordnung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des Corona-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die Schließung wird dem Mieter aber eine konkrete Nutzung der Mieträume nicht verboten.
Die Betriebsschließung stellt jedoch eine schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB dar. Nach der neu geschaffenen Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB wird vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.
Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht automatisch zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift weiter, dass dem Mieter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der staatlichen Schließungsanordnung, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann.
Durch die Corona-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung nicht erfasst wird und damit keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden kann.
Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Bei der Abwägung sind zu betrachten, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind (z.B. Umsatzrückgang). Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern (z.B. Eröffnung eines Onlineshops).
Es sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, sind nicht zu berücksichtigen, da der Mieter diese zurück zahlen muss. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.
In der Sache hat er an das OLG zur weiteren Klärung zurückverwiesen.
BGH, Urteil vom 12. Januar 2022, XII ZR 8/21
Quelle: PM des BGH vom 12. Januar 2022
Veranstaltungshinweis:
Rechtsanwalt Ottmar Krämer, Fachanwalt für Miet- und WEG-Recht und Vorsitzender dieses Fachanwaltsausschusses bei der Rechtsanwaltskammer des Saarlandes (Kanzlei Rapräger, Saarbrücken) wird am Mittwoch, 16. März 2022, 17.00 bis 18.30 Uhr im Rahmen eines Webinars die Fragen der Mietminderung und der Rückgabe beim gewerblichen Mietvertrag behandeln.