Reformprojekt KombilohnEinfache Arbeit marktfähig machen!
Von Volker Giersch
Kommentar
01.02.2006
Tatsache ist, dass die Geringqualifizierten den Großteil der Arbeitslosen in Deutschland stellen. Tendenz weiter steigend. In keinem anderen Land der Welt liegt die Arbeitslosigkeit für Erwerbspersonen ohne abgeschlossene Berufsausbildung so weit über der allgemeinen Arbeitslosigkeit wie in Deutschland. Während die Arbeitslosenquote von Akademikern in den letzten 30 Jahren in Westdeutschland nie über fünf Prozent geklettert ist, wuchs sie bei den Geringqualifizierten Schritt für Schritt auf heute 22 Prozent.
Zu wenig Niedriglohn-Jobs
Der Grund dafür: Es gibt im Niedriglohnbereich hierzulande keinen funktionsfähigen Arbeitsmarkt. Einfache Arbeit wird auf dem ersten Arbeitsmarkt praktisch nicht „gehandelt“ – sie wird nur in geringem Maße angeboten und auch nur unzureichend nachgefragt.
Verantwortlich dafür ist einerseits eine verfehlte Lohnpolitik, die einfache Arbeit – vor allem in den 70er und 80er Jahren – allzu sehr verteuert hat: Auf Druck der Gewerkschaften wurden die Löhne in den unteren Entgeltgruppen überproportional angehoben; zum Teil wurden Niedriglohngruppen ganz gestrichen. So kam es zu einer Stauchung des Lohngefüges, obwohl die Globalisierung eine Spreizung nötig gemacht hätte.
Im Ergebnis ist einfache Arbeit so teuer geworden, dass sie sich vielfach nicht mehr rechnet – zumindest nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt. Die Geringqualifizierten sind dort faktisch ins Abseits geraten. So entpuppte sich, was seinerzeit als soziale Wohltat gedacht war, im Nachhinein als Ursache sozialen Übels.
Vom Kombilohn aus ALG II und Schwarzarbeit ...
Auch auf der anderen Seite des Arbeitsmarktes liegt manches im Argen: Aufgrund der relativ hohen Lohnersatzleistungen rechnet es sich für viele Arbeitslose – insbesondere für Langzeitarbeitslose – nicht, Arbeit anzunehmen. Das Arbeitslosengeld II erreicht nicht selten ein Niveau, das den Nettoeinkommen von Arbeitnehmern in den unteren Lohngruppen sehr nahe kommt oder diese gar übertrifft. Wenn dann noch Verdienste aus Schwarzarbeit hinzukommen, ergeben sich Gesamteinkommen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt in dieser Höhe nicht erreichbar sind – zumindest nicht von Arbeitnehmern mit geringer Qualifikation. Machen wir uns nichts vor: Solche „Kombilöhne“ aus staatlichen Transfers und Schwarzarbeit gibt es hierzulande schon lange und in wachsender Zahl.
Das spiegelt nicht zuletzt auch die Entwicklung in der Schattenwirtschaft wider, die zu einem der größten Wirtschaftsbereiche herangewachsen ist. Kein Wunder: Dort gibt es keine überbordende Steuer- und Abgabenlast, die die Arbeitsteilung behindert. Dort entscheiden noch Angebot und Nachfrage über die Höhe der Löhne. Und dort gibt es – aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der staatlichen „Grundfinanzierung“ – ein großes Angebot an arbeitswilligen Arbeitskräften.
... zum Kombilohn aus Marktlohn und Lohnergänzung
Wenn wir einfache Arbeit in den ersten Arbeitsmarkt zurückholen wollen, dann müssen wir den Kombilohn aus ALG II und Schwarzarbeit durch einen Kombilohn aus Marktlohn und staatlicher Lohnergänzung ersetzen. Konkret ist dreierlei nötig:
Lohnskala nach unten öffnen
Erstens ist die Lohnskala nach unten zu öffnen – und zwar in allen Branchen. Nur so lassen sich genug Arbeitsplätze für Einfachqualifizierte schaffen. Die Unternehmen werden weniger einfache Arbeit in ausländische Produktionsstätten outsourcen und weniger menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzen. Viele Dienstleistungen werden preiswerter und für mehr Kunden erschwinglich. Wer sich im Ausland umsieht, erkennt rasch, in welchen Branchen und für welche Tätigkeiten es Chancen für Niedriglohn-Jobs gibt.
Um einen solchen Markt für einfache Arbeit auch in Deutschland zu schaffen, bedarf es freilich eines Gesinnungswandels der Tarifpartner, namentlich der Gewerkschaften. Sie müssen bereit sein, zusätzliche Lohngruppen für einfache Arbeit zu vereinbaren, die eine marktgerechte Spreizung der Löhne ermöglichen. Einige Arbeitgeberverbände haben solche Vorschläge bereits unterbreitet. Falls es nicht bald zu entsprechenden Vereinbarungen kommt, muss der Gesetzgeber den nötigen Freiraum auf andere Weise schaffen.
Niedrige Einkommen aufstocken
Zweitens brauchen wir ein System von lohnergänzenden Sozialtransfers, die niedrige Einkommen so aufstocken, dass Armut vermieden wird. Im Ausland – etwa in den USA und Frankreich – gibt es funktionsfähige Modelle („negative Einkommensteuer“), die sich seit Jahren bereits in der Praxis bewähren. Entscheidend ist, dass sich diese Zuwendungen an den jeweiligen Einkommens- und Familienverhältnissen orientieren. Diese Form der sozialen Flankierung ist durchaus auch finanzierbar. Denn es kostet weniger und bringt mehr, Geringverdienern einen Zuschuss zu ihrem Lohn zu zahlen als erwerbsfähigen Arbeitslosen den vollen Lohnersatz zu finanzieren. Voraussetzung ist freilich, dass die Kombilöhne das Niveau des ALG II nicht wesentlich überschreiten. Dann und nur dann lassen sich die Finanzierungskosten in vertretbaren Grenzen halten.
Arbeitslosengeld II-Empfänger müssen Gegenleistung bringen
Drittens muss es zur Regel werden, dass Arbeitslosengeld II künftig nur noch bezahlt wird, wenn die Bezieher bereit sind, acht Stunden am Tag dafür zu arbeiten. Entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten für all jene, die auch unter den geänderten Bedingungen keine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt finden, sollten die Kommunen anbieten. Da das ALG II keine Versicherungsleistung ist, sondern eine Solidarhilfe der Gesellschaft, ist es legitim, für diese Leistung eine Gegenleistung einzufordern. Das hat dann zugleich den gewünschten Effekt, dass weit weniger Zeit für Schwarzarbeit bleibt.
Klar sein muss, dass diese Reformelemente nur dann wirksam werden, wenn sie gemeinsam und gleichzeitig umgesetzt werden. In den Modellversuchen, die auf Länderebene gelaufen sind, war das durchweg nicht der Fall. Sie haben jeweils nur an einer Seite des Arbeitsmarktes angesetzt und hatten überdies grobe Webfehler. So auch der Modellversuch der Saar-Gemeinschaftsinitiative, der befristete Zuschüsse an Unternehmen vorsah, die zusätzliche Arbeitsplätze für Geringqualifizierte zur Verfügung stellen. Da diese Zuschüsse mit attraktiveren Fördermaßnahmen der Arbeitsverwaltung konkurrierten, wurden sie kaum in Anspruch genommen. Der Erkenntniswert der Modellversuche ist also gering – es sei denn, man lernt daraus wie es nicht geht.
Eine zweite Voraussetzung für den Erfolg ist, dass die Rahmenbedingungen auf Dauer und nicht nur für eine begrenzte Zeitspanne geändert werden. Die Wirtschaft wird Niedriglohn-Jobs nur dann in größerer Zahl anbieten, wenn diese sich auch mittel- und langfristig rechnen. Und Arbeitslose werden Einkommensquellen in der Schattenwirtschaft nur dann aufgeben, wenn Niedriglohn-Jobs mit Lohnergänzung dauerhaft die bessere Perspektive versprechen. Deshalb sind befristete Modellversuche im Vorhinein bereits zum Scheitern verurteilt.
Das Fazit aus alledem: Richtig umgesetzt verspricht das Reformprojekt Kombilohn durchaus Erfolg. Wenn wir den Marktkräften eine Chance geben und die soziale Flankierung leistungsorientiert gestalten, können wir den Großteil der Geringqualifizierten schon bald in Arbeit bringen. Die strukturelle Arbeitslosigkeit wird dann sinken. Und Deutschland kann auf einen steilen Wachstumspfad einschwenken. Denn Menschen in Arbeit tragen mehr zu Wachstum und Wohlstand bei als Menschen ohne Arbeit.