Wettbewerb ist besser als Gleichmacherei
Europa braucht keine Mindeststeuer
Von Rolf Schneider, Vizepräsident IHK Saarland
Kolumne
01.08.2004
Hinter dem Harmonisierungsstreben steht die Befürchtung, dass der ohnehin bestehende Trend zu Steuersenkungen durch die neuen EU-Mitglieder noch verstärkt wird. Im Extrem könne es sogar zu einem ruinösen „race to the bottom“ kommen, an dessen Ende Unternehmensgewinne gar nicht mehr besteuert werden (könnten). Im Zuge dieser Entwicklung ginge die Versorgung mit öffentlichen Gütern zurück und der Sozialstaat würde immer mehr ausgehöhlt. Der französische Staatspräsident, der deutsche Bundeskanzler und der bayerische Ministerpräsident haben diese Sorgen zuletzt noch mit dem Vorwurf gespickt, die neuen EU-Mitglieder betrieben Steuerdumping und finanzierten ihre Steuerausfälle über umfangreiche EU-Beihilfen.
Was ist dran an diesen Vorwürfen? Betreiben die neuen EU-Länder tatsächlich eine unfaire Steuerpolitik? Zahlen die deutschen Steuerzahler über hohe EU-Beiträge den Aufbau der Infrastruktur in diesen Ländern? Oder ist es am Ende nicht so, dass der Steuerwettbewerb für alle Beteiligten, also auch für die alten EU-Länder, vorteilhaft ist?
Steuerwettbewerb über unterschiedliche Steuersätze
In der Tat ist es so, dass die mittelosteuropäischen Beitrittsländer mit Steuersätzen zwischen 15 (Lettland, Litauen) und 28 Prozent (Tschechien) für Kapitalgesellschaften jedem deutschen Unternehmer wie ein Steuerparadies vorkommen müssen. Schließlich ist die Steuerbelastung in Deutschland im Schnitt fast doppelt so hoch. Dennoch ist der Vorwurf des Steuerdumpings unberechtigt. Steuerdumping läge nur dann vor, wenn die Beitrittsländer ausländische Unternehmen steuerlich besser stellten als einheimische Unternehmen – so die einhellige Auffassung von OECD und EU. Unterschiedliche Steuersätze in den einzelnen Mitgliedstaaten haben demnach mit Steuerdumping so wenig zu tun wie unterschiedliche Stundenlöhne mit Lohndumping. Im Zusammenhang mit durchweg höheren Umsatzsteuersätzen in den Beitrittsländern sollten niedrige Steuersätze bei der Körperschaftsteuer stattdessen als Versuch gewertet werden, ein stärker konsumorientiertes und damit investitionsfreundlicheres Steuersystem zu etablieren. Die Bundesregierung, die ja in der Vergangenheit wiederholt die Notwendigkeit unterstrichen hat, die Besteuerung zunehmend von den direkten zu den indirekten Steuern zu verlagern, wäre angesichts der deutschen Wachstumsmisere gut beraten, sich an den neuen Beitrittsländern ein Beispiel zu nehmen. Die Österreicher haben es bereits getan. Statt 34 werden dort ab 2005 nur noch 25 Prozent Körperschaftsteuer verlangt.
Aber was ist von dem Argument zu halten, die Beitrittsländer könnten sich einen solchen Steuerwettlauf nur leisten, weil die Modernisierung ihrer Infrastruktur über EU-Fördermittel finanziert würde. Auch diese Kritik ist – so plausibel sie auf den ersten Blick auch sein mag – nicht stichhaltig. Denn dafür ist der Umfang der Strukturfördermittel einfach zu gering. Gemessen an den Gesamtsteuereinnahmen liegt der Anteil der Nettozuflüsse zwischen 0,25 Prozent (Slowenien) und 2,45 Prozent (Slowakei). Nur in den drei baltischen Staaten erreicht diese Relation mit vier bis neun Prozent eine wahrnehmbare Größe. Das heißt, die EU-Mittel fließen im allgemeinen viel zu spärlich, um eine derart massive Absenkung der Gewinnsteuersätze, wie sie stattgefunden hat und weiter stattfindet, finanzieren zu können. Gegen die Behauptung, die neuen Mitgliedsländer hielten sich mit EU-Fördermitteln für niedrige Unternehmenssteuern schadlos, spricht im Übrigen auch, dass sie nicht unerhebliche eigene Mittel zur Kofinanzierung von EU-Projekten beisteuern müssen. Dadurch sind der Möglichkeit, eigene Steuermittel durch EU-Finanzhilfen zu ersetzen, doch recht enge Grenzen gesetzt.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, dass ein Mindeststeuersatz in der EU eher in der Nähe des deutschen Hochsteuersatzes liegen würde als auf dem niedrigen Niveau der meisten Beitrittsländer oder Irlands. Für die Beitrittsländer bedeutete eine solche Politik weniger Beschäftigung, schwächeres Wachstum und einen niedrigeren Lebensstandard. Aber auch die alten EU-Länder müssten für diese Strategie, die den Beitrittsländern den steuerlichen Wettbewerbsvorteil nehmen will, auf Dauer bezahlen. Der Preis bestünde vor allem in einem anhaltenden Ost-West-Gefälle mit entsprechenden Transferzahlungen. Als Nettozahler wäre gerade Deutschland davon betroffen. Deshalb ist es auch im Interesse der alten EU-Länder, wenn die neuen Länder Aufholchancen haben und aus eigener Kraft Anschluss an die alten Länder finden. Statt ihnen die vorhandenen Standortvorteile zu nehmen, sollten Deutschland und Frankreich daher den umgekehrten Weg gehen und sich selbst dem Steuerwettbewerb in Europa stellen. Zumindest für Deutschland bestand diese Notwendigkeit schon vor der Osterweiterung. Denn auch im Vergleich mit den alten EU-Ländern ist die Belastung der Unternehmen mit Steuern nirgendwo so hoch wie bei uns.
Bemessungsgrundlage harmonisieren
Dass ein solcher Steuerwettbewerb bestimmte Regeln braucht, damit er funktioniert, ist unbestritten. Vorschläge hierzu liegen inzwischen vor. Sie betreffen vor allem die Vereinheitlichung der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage. Das erhöhte die Transparenz und förderte den Steuerwettbewerb. Die Länder könnten dann mit den jeweils geltenden Sätzen für sich werben. Abgesehen davon, dass eine solche Regelung viele steuerrechtliche Probleme in Europa beseitigte, wäre sie vor allem mittelstandsfreundlich. Denn der Mittelstand kann es sich normalerweise nicht leisten, die einzelnen Länder bis in die letzten Verwinkelungen von Bemessungsgrundlagen und Steuersätzen zu durchleuchten. Aus Sicht der Unternehmen wäre es deshalb zu begrüßen, wenn die EU-Kommission sich bald auf eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage verständigen könnte, die die Steuersätze in nationaler Entscheidungshoheit belässt.